146 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (April 8.)
denkt daran, Englands Weltstellung und Englands Seegeltung anzutasten;
das liegt auch unseren Flottenrüstungen gänzlich fern. Ich habe vorhin
darauf hingewiesen: durch die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands ist
für uns die Notwendigkeit erwachsen, uns eine Kriegsflotte zu schaffen,
nicht zum Angriff, lediglich zur Verteidigung unserer Reichsinteressen.
Nun, meine Herren, gestatten Sie mir noch einige Bemerkungen zur
Militärvorlage selbst. Es ist nicht zu leugnen, daß starke Kontraste
vorliegen, Kontraste zwischen heute, wo diese großzügige Verstärkung der
deutschen Armee gefordert wird, und den Erklärungen der Kriegsverwaltung
zu den Vorlagen des Quinquennats des Jahres 1911 und der Vorlage
des Jahres 1912. Ich habe damals im Auftrage meiner politischen Freunde
darauf hingewiesen, daß wir nicht in allen Teilen mit den damaligen Vor-
lagen der verbündeten Regierungen einverstanden waren; wir hatten schon
damals den Eindruck, daß Lücken in unserer Rüstung vorhanden sind. Aber
ich will nicht wiederholen, was ich damals gerügt habe. Ich habe den Ein-
druck, daß diese jetzige Vorlage nicht allein aus der veränderten politischen
Lage sich erklärt, sondern daß sie bestrebt ist, nachzuholen, was man besser
schon früher gefordert hätte. Der große leitende Gesichtspunkt ist der: soll
die allgemeine Wehrpflicht durchgeführt werden? Wollen wir jeden waffen-
fähigen Mann einstellen und mit den Waffen ausbilden? Wird diese Vor-
frage bejaht, dann müssen die Konsequenzen gezogen werden, was die Zahl
der notwendigen Unteroffiziere und Offiziere anlangt, durch all die ver-
schiedenen Chargen hindurch, was Waffen, Munition, Geschütze und was
die Unterkunft anlangt. Das sind dann nur Konsequenzen, die in ihren
Einzelheiten und bezüglich ihres Umfangs in der Budgetkommission genan
geprüft werden müssen. Dann noch eine Bemerkung! Wir wünschen zweier-
lei: keine Zurücksetzungen und Ausschließungen wegen des religiösen Be-
kenntnisses und keine Bevorzugung des Adels. Da möchte ich nun
ein Wort über die bürgerlichen und adligen Regimenter sagen. Auch das
ist ja nichts Neues; wir haben diese Klagen schon oft vorgebracht. Sie
müssen aber gerade bei solchen Vorlagen immer wiederholt werden. Ich
will das eine, was meines Wissens der jetzige Herr Kriegsminister einmal
ausgeführt hat, daß es Regimenter gibt, in denen starke Familientraditionen
herrschen, gar nicht abweisen. Wenn es Regimenter gibt, vor allem in den
alten preußischen Provinzen, wo der Sohn dem Vater, der Enkel dem Groß-
vater in der Offizierslaufbahn folgt, wo ein traditioneller Zusammenhang
der Familien mit dem Regiment besteht, so sind das historische Entwick-
lungen, die auch wir nicht hinwegwischen wollen. Aber man ist längst dar-
über hinausgegangen. Ich könnte von der Garde reden. Bei der Garde-
infanterie sind heute im ganzen 23 bürgerliche Offiziere, wobei ich zugebe,
daß es unter der jetzigen Verwaltung besser geworden ist. Früher waren
es noch viel weniger. In der Gardekavallerie steht, wenn ich recht gelesen
habe, ein bürgerlicher Offizier. (Zurufe links: Schulze!) Ich meine aber da
noch etwas anderes. Das ist doch ganz gewiß unnötig, daß es nun auch
noch „Provinzialgarde“ gibt und daß die Zahl der Regimenter, die in
ihren Offizierkorps exklusiv adlig sind, sich mehrt. Ich möchte Ihnen,
um Ihre Zeit nicht zu lange in Anspruch zu nehmen, nur zwei oder drei
Beispiele geben. Das Regiment 109 hatte laut Rangliste im Jahre 1872
28 adlige und 31 bürgerliche Offiziere, laut Rangliste 1912 51 adlige und
4 bürgerliche. Das Regiment 115 in Darmstadt hatte 1872 18 adlige und
39 bürgerliche Offiziere, 1912 41 adlige und 9 bürgerliche. Das Dragoner-
regiment Nr. 20 hatte im Jahre 1872 13 adlige und 12 bürgerliche, heute
21 adlige und 4 bürgerliche, wobei ich dem Herrn Kriegsminister zugebe.
daß es in den letzten Jahren auch hier etwas besser geworden ist. Diesen