Das Dentsqhe Reith und seine einzelnen Glieder. (April 8.) 147
Zahlen braucht man wirklich nichts hinzuzufügen, sie sprechen ganz für sich.
Die Militärverwaltung möge auch nicht glauben, daß das deutsche Offizier-
korps mit dieser Entwicklung einverstanden ist. Ich habe eine ganze Brief-
literatur beisammen, teils anonyme, aber auch unterschriebene Briefe, in
denen gesagt ist, daß in weiten Offizierskreisen eine solche Trennung in
zwei Kategorien sehr bitter empfunden wird.
Abg. v. Kanitz (K.): Nicht erst die Balkankrisis, nicht erst der Ver-
lauf der Kriegsereignisse auf dem Balkan, wie es in der Begründung unserer
Vorlage heißt; sondern schon seit Jahren besteht nach meiner Ueberzeugung
wenigstens die Notwendigkeit, auf eine angemessene Verstärkung unseres
Grenzschutzes Bedacht zu nehmen, und diese N otwendigkeit ist lediglich und
ganz allein durch die übermäßigen Rüstungen und die mit immer größerer
Dreistigkeit zutage tretenden Kriegsgelüste Frankreichs herbeigeführt
worden. Der durch ganz Frankreich ertönende Ruf „à Berlin“ ist das
eigentliche Motto dieser Vorlage, die heute zu unserer Beratung steht. Ob-
wohl Frankreich nur 60 Prozent der Bevölkerung Deutschlands zählt,
39 Millionen gegen 65 Millionen, hat Frankreich schon in den letzten Jahren
eine Armee auf dem Friedensfuß unterhalten, welche, was die numerische
Stärke betrifft, hinter der deutschen Armee in keiner Weise zurücksteht. Nun sind
kürzlich die neuen französischen Kadergesetze angenommen worden, das In-
fanteriekadergesetz, das Kavalleriekadergesetz, die eine beträchtliche Vermehrung
in sich schlossen, und diese Gesetze — das wollen wir dabei berücksichtigen —
wurden von den französischen gesetzgebenden Körperschaften ohne einen
Widerspruch angenommen. Auch die sozialdemokratischen Abgeordneten
stimmten damals dafür. Die haben ihren Widerspruch erst geltend ge-
macht, als es sich um die dreijährige Dienstzeit handelte. Das bitte ich
wohl zu beachten. Jetzt wird eine Wiederherstellung der dreijährigen Dienst-
zeit, die, wie Sie wissen, früher schon in Frankreich bestanden hat, verlangt.
Aber damit wächst uns natürlich die französische Armee erheblich über den
Kopf. Das können wir uns nicht gefallen lassen, gegen diese Gefahr dürfen
wir uns nicht verschließen, da dürfen wir nicht den Kopf in den Sand
stecken. Wir tragen uns wahrhaftig nicht mit irgendwelchen Angriffsgelüsten.
Dafür bürgt uns die fünfundzwanzigjährige Friedenspolitik unseres Kaisers.
Wir verlangen nach keinem Kriege. Wir haben in einem künftigen Kriege
nichts zu gewinnen, sondern nur zu verlieren. Wir wollen kein Dorf er-
obern, wir haben überall klare Grenzen. Also an unserer Friedensliebe
ist wahrhaftig nicht zu zweifeln. Aber ich sage: wir wollen lieber jetzt
eine Milliarde opfern, lieber eine Milliarde hingeben, als uns der Gefahr
einer Niederlage in einem Kriege aussetzen. Der Herr Reichskanzler sagte
gestern bereits: gegen den Krieg der Zukunft werden alle bisherigen Kriege
nur ein Kinderspiel sein. Wir wollen uns nicht der Gefahr einer Nieder-
lage aussetzen, die uns unzählige Milliarden kosten wird und außerdem
Hunderttausende von Menschenleben dahinraffen muß. Das ganze Elend,
das wir vor hundert Jahren erlebt haben, würde dann von neuem über
unser Vaterland kommen. Das wollen wir nicht, und deshalb, nur deshalb
wollen wir unsere Armee verstärken. Unsere Friedensliebe sollte wahrhaftig
über allem Zweifel erhaben sein, und es ist nur zu begrüßen, daß man
setzt endlich auch in England zu dieser Einsicht zu gelangen scheint. So-
weit die Weltgeschichte zurückreicht, seit Jahrhunderten bis zur Neuzeit,
von Blenheim bis Waterloo, haben Engländer und Deutsche in allen kriege-
rischen Verwicklungen zusammengehalten. Was den Gang der Kriegs-
ereignisse auf dem Balkan betrifft, so hat es eigentlich keinen rechten
Zweck, darüber Betrachtungen anzustellen, weil niemand auch im entferntesten
voraussehen kann, wie die Dinge sich dort in der nächsten geit entwickeln
10“