Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (April 8.) 151
bedrückt und verfolgt hat, und daß der Islam ein kulturhemmendes Prinzip
ist. Deshalb muß unseres Erachtens jedermann den heroischen Freiheits-
kampf der slawischen Völker auf dem Balkan mit der größten Sympathie
begrüßen. Wenn Europa die selbständige Entwicklung dieser Völker nicht
hindert, so ist mit Sicherheit zu erwarten, daß sie neue, kräftige Elemente
des Fortschritts und der europäischen Kultur bilden werden. Nun ist so-
wohl vom Herrn Reichskanzler als auch von anderen Rednern mehrfach
von der Gefahr gesprochen worden, die angeblich dem Deutschen Reich
durch die slawische Bewegung drohen soll. Worin besteht aber in
Wirklichkeit diese slawische Bewegung? Wollen die aufstrebenden slawischen
Völker etwa das Deutsche Reich erobern oder das deutsche Volk aus seinem
Lande vertreiben. Mitnichten! Diese Völker wollen nur ihr eigenes Volks-
tum frei entwickeln. Wenn hier ein Gegensatz zum Deutschen Reich be-
steht, so ist er nur darin begründet, daß diese flawischen Völker befürchten,
in ihrer nationalen Entwicklung durch etwaige deutsche Eroberungstendenzen
gestört zu werden. (Sehr richtig! bei den P.) Ein Losungswort wie etwa
„Drang nach dem Westen“ ist in den slawischen Völkern niemals gehört
worden; wohl aber ist ihnen das Losungswort vom Drang nach dem
Osten, wie solches von den Alldeutschen allezeit gepredigt wird, nur zu be-
kannt, — und das ist es, was die flawischen Völker mit Mißtrauen gegen
Deutschland erfüllt. Wenn also das Deutsche Reich der sogen. slawischen
Gefahr begegnen will, so braucht es nur eine Politik zu befolgen, die die
Gewähr bietet, daß es in der Tat einer selbständigen Entwicklung der
slawischen Völker nicht hindernd in den Weg treten will, und es wird als-
dann die slawische Gefahr nicht zu fürchten brauchen. Dazu ist aber in
erster Reihe notwendig, daß das Deutsche Reich und vor allen Dingen
der führende deutsche Bundesstaat Preußen die in seinen Grenzen wohnende
slawische Bevölkerung nicht mit einer Politik der Ausrottung verfolgt,
sondern ihr gegenüber eine Politik der Gerechtigkeit übt. (Sehr richtig!
bei den P.)
Abg. Scheidemann (Sd.): Die Theorie der Machtverschiebung durch
den Balkankrieg ist von allen Rednern, und zwar in den verschiedensten
Tonarten, variiert worden. Die Serben und Bulgaren sollen durch den
Gewinn des noch nicht beendeten Krieges so stark geworden sein, daß
wir — das mächtige Deutschland! — einer Panik verfallen sollen, als
wenn eine siegreiche serbische Armee sich bereits dem Brandenburger Tor
nahte. Unsern Nationalisten ist scheinbar jeder Nationalstolz abhanden
gekommen: sie merken gar nicht, wie tief sie das mächtige Deutsche Reich
demütigen, welche lächerliche Rolle sie dem Reich zumuten, das sich kopflos
in die gewaltigsten Rüstungen stürzen soll, aus Angst vor Serben und
Bulgaren! Ich bin überzeugt, es gibt keinen Menschen in Deutschland,
der den Serben und Bulgaren irgend etwas Böses wünscht:; aber wir sollen
sie als Feinde betrachten, weil unser Bundesbruder Oesterreich sie durch
eine maßlos ungeschickte Politik zur Gegnerschaft gegen die schwarzgelbe
Monarchie aufgebracht hat. Man muß da wirklich die Frage aufwerfen,
welchen Wert das Bündnis mit Oesterreich unter solchen Umständen eigent-
lich noch für uns hat. Sicher nur einen negativen. Denn nach den Be-
hauptungen der Theoretiker der Machtverschiebung sind wir ja durch das
Bündnis mit Oesterreich-Ungarn nicht stärker, sondern schwächer geworden,
so schwach, daß wir der ungeheuerlichsten Anstrengungen bedürfen, um das
Gleichgewicht einigermaßen wiederherstellen zu ktonnen. In Wirklichkeit
liegen die Dinge, soweit die Balkanstaaten in Betracht kommen, ja wesentlich
anders, als hier ausgeführt worden ist. Selbst die Anhänger der Heeres
vorlage werden sich doch nicht einbilden, daß sie das deutsche Volk unter