Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunundzwanzigster Jahrgang. 1913. (54)

Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (April 8.) 155 
heruntergedrückt worden. Das sind veränderte Situationen gegenüber den 
Jahren vorher. Das sind für uns Deutsche höchst unangenehme Tatsachen; 
aber da hilft keine Vogel-Strauß-Politik, daß ich den Kopf in den Sand 
stecke und die Dinge nicht sehen will: die Hiebe kommen nachher um so 
hageldichter und fallen um so schärfer über uns her. Da gilt nur der Satz: 
der kluge Mann baut vor. 
          8. April. (GSamburg.) Exposé der Handelskammer gegen 
die Gründung einer Hamburger Universität nach den Vorschlägen 
des Senats. 
Es liege ein Bedürfnis für die Errichtung einer Universität in Ham- 
burg nicht vor. Hamburg müsse mit unerschütterlicher Konsequenz und mit 
Aufwendung aller möglichen Mittel die Förderung und weitere Entwicklung 
seines Welthandels betreiben. Die so weitgehenden und deshalb mit diesem 
Grundprinzip nicht in Einklang stehenden Bestrebungen auf Förderung 
wissenschaftlicher Einrichtungen und Ideen seien, wie es der geschichtliche 
Rückblick der Senatsvorlage selbst beweise, mit der Eigenart Hamburgs 
nicht vereinbar und könnten hier keinen Boden finden. Die Errichtung 
einer Universität würde auch das hamburgische Schul= und Fortbildungs- 
wesen schädigen, da sie sehr erhebliche, jetzt diesen Zwecken zugewandte 
Mittel erfordern würde. Die Kosten einer hamburgischen Universität würden 
schon in dem Umfange, wie sie in der Vorlage berechnet werden, für den 
Staatshaushalt in Hamburg ins Gewicht fallen, namentlich mit Rücksicht 
darauf, daß in der nächsten Zeit große Aufwendungen für Handel, Schiff- 
fahrt und Industrie notwendig sein würden. 
           8. April. (Preußisches Abgeordnetenhaus.) Fortsetzung 
der Beratung des Kultusetats: Besprechung über die höheren Lehr- 
anstalten. 
        Abg. Eickhoff (Fortschr. Vp.): Die Reform des Disziplinarrechts 
sollte der Minister doch endlich in Angriff nehmen. Er würde sich den 
Dank zahlreicher Oberlehrer erwerben, wenn er die Initiative dazu ergriffe. 
 Der Abg. Goßler hat gestern den Umstand erwähnt, daß Charlottenburg 
einen füdischen Herrn zum Direktor einer höheren Lehranstalt gemacht habe, 
und gemeint, daß weite Kreise darüber beunruhigt seien, daß die Bestäti- 
gung erfolgt sei. Diese Beunruhigung verstehe ich nicht, denn was hat die 
Lehrbefähigung mit der Konfession zu tun? Sollte wirklich Beunruhigung 
bestehen, so könnte sie nur künstlich erzeugt sein, und der Minister sollte 
solchen Machenschaften energisch entgegentreten. Das jetzige Verhältnis 
zwischen Oberlehrern und Hilfslehrern hat sich verschlechtert. Die Ueber- 
füllung des Oberlehrerstandes droht dadurch noch ärgeren Umsang an- 
zunehmen. Seit 1903 hat sich die Zahl der Oilfslehrer verdoppelt, es 
kommt jetzt schon auf 6—7 Oberlehrer ein Hilfslehrer. Dieses Mißverhältnis 
wird noch gesteigert durch die vermehrte Anstellung von Mittelschul- 
lehrern. Der Ministerialerlaß, wonach die Mittelschullehrer nur in den 
unteren Klassen und in bestimmten Fächern angestellt werden sollen, scheint 
durchaus nicht überall befolgt worden zu sein. Ganz gewiß ist dies in der 
Provinz Posen nicht der Fall. Die Vermehrung der Mittelschullehrerstellen 
ist höchst wahrscheinlich seinerzeit von der Finanzverwaltung verlangt worden, 
um die Erhöhung der Gehälter der Philologen in etwas auszugleichen. 
Ganz gewiß zeichnen sich zahlreiche Mittelschullehrer durch besonders pädago- 
gisches Geschick aus. Wir billigen es auch, daß der Minister den Volks- 
schullehrern Einrichtungen schafft, die ihnen die Ableistung des Einjährigen-
	        
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