156 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (April 8.)
dienstes erleichtern. Wir wünschen auch, daß den Befähigten unter ihnen
die Schulratskarriere eröffnet werde. Aber andererseits bestehen die ge-
wichtigsten Gründe dagegen, sie in die oberen Klassen der höheren Lehr-
anstalten einrücken zu lassen, und auch in den unteren Klassen müssen be-
stimmte Fächer den Akademikern vorbehalten bleiben. Für die Bürgerkunde
sind bereits Kurse eingerichtet worden. Ich gebe die Hoffnung nicht auf,
daß die Kurzstunde sich bewähren wird.
Kultusminister v. Trott zu Solz: Die Besorgnis vor der Ueber-
füllung des Berufs der akademischen Lehrer ist nicht unbegründet.
Nachdem der Stand der Oberlehrer in den letzten Jahrzehnten gehoben
worden ist, hatte man mit einem stärkeren Zuspruch zu rechnen. In den
ersten Jahren hat sich das nach außen nicht besonders geltend gemach,
weil zahlreiche Stellen offen standen. Von 1903 bis 1911 wurde der größere
Teil der Kandidaten sofort angestellt, in einzelnen Jahrgängen fand das
bei mehr als 80 Prozent statt, und die Wartezeit reduzierte sich auf ein
Minimum. Erst 1912 ist der Prozentsatz der Angestellten zu den An-
stellungsfähigen bis auf 39 Prozent gesunken. Jetzt stehen rund 1550 an-
stellungsfähige Kandidaten einschließlich derjenigen, die am 1. April d. J.
das Probejahr vollendet haben, zur Verfügung, von denen etwa 400 an—
gestellt werden können, also noch nicht 26 Prozent. Mit Ueberfüllung des
Oberlehrerberufs haben wir in den nächsten Jahren um so mehr zu rechnen,
als die Zahl der Studierenden der Philologie an den Universitäten viel zu
groß ist und dauernd gestiegen ist. Zwar ist eine ganze Reihe von neuen
Oberlehrerstellen geschaffen worden, aber alles das reicht nicht aus, um dem
Angebot entsprechend eine Verwendung eintreten zu lassen. Die Zahl der
katholischen Kandidaten ist allerdings groß. Von 871 anstellungsfähigen
Kandidaten waren 396 evangelisch, 162 katholisch und 13 jüdisch. Am
stärksten war der Prozentsatz der Katholiken bei der Altphilologie, und in
dem Fach Geschichte und Deutsch standen 95 evangelische Kandidaten 198
katholischen gegenüber. Eine Zurücksetzung der katholischen Kandidaten bei
der Anstellung findet nicht statt. Die Verwendung von Mittelschullehrern
an höheren Schulen ist unter Umständen von Wichtigkeit. Es kommt nur
darauf an, daß das richtige Maß der Beschäftigung solcher Lehrer inne-
gehalten wird. Ich glaube, das ist bei uns der Fall.
Abg. Strosser (K.): Nach meiner Ueberzeugung sollte man die
ruhige Entwicklung unseres Schulwesens nicht stets von neuem durch Schul-
reformen unterbrechen. Die höheren Lehranstalten sollen allen möglichen
Anforderungen genügen. Es sollte weniger, aber gründlicher gelehrt werden,
wie das früher auf den humanistischen Gymnasien der Fall war. An-
erkanme Autoritäten auf dem Gebiete des Schulwesens haben festgestellt,
daß die Leistungen der höheren Lehranstalten in den letzten Jahren zurück-
gegangen seien. Sie haben dabei auf den Ausfall der verschiedenen Examina
hingewiesen. Jedenfalls ist die Zahl derjenigen, die bei dem Referendar
und Assessoreneramen und anderen höheren Prüfungen durchfallen, sehr
groß. Alle diese Dinge sind doch derartig, daß sie dazu auffordern, sich
einmal zu überlegen, woher doch diese außerordentlichen Mißstände kommen.
Es ist auch festgestellt worden, daß viele wissenschaftlich minderwertige
Elemente sich dem Studium widmen. Es ist geradezu eine Tendenz der
jetzigen Zeit, zu viel Rücksicht zu nehmen auf schwache Schüler. Ich kann
den Maßregeln nicht zustimmen, die von der Regierung ergriffen worden
sind, um nach dieser Richtung hin größere Nachsicht walten zu lassen. Ich
möchte diese Rücksichtnahme, die man den jungen Leuten zuteil werden läßt,
als eine unnötige Härte bezeichnen. Je toleranter man in dieser Beziehung
ist, desto schlimmer ist es für die Beteiligten.