Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (April 8. 9.) 157
8. April. (Kiel.) Prinz Heinrich von Preußen ist nach Eng-
land abgereist.
9. April. (Köln a. Rh.) Inthronisation des neuen Erzbischofs
Dr. v. Hartmann.
9. April. (Reichstag.) Fortsetzung der ersten Lesung der
Wehrvorlage.
Abg. Dr. Doormann (Fortschr. Vp.): Die Begründung der Vorlage
betont, daß der Gedanke der allgemeinen Wehrpflicht weiter durchgeführt werde.
Wir freuen uns, daß ein solcher Ausbau der Dienstpflicht noch möglich ist,
und daß wir nicht zu verzweifelten Mitteln greifen müssen, wie es in
unserem Nachbarlande geschehen muß. Aber man soll nun auch nicht leicht-
fertig dazu übergehen, die Zahl der Einzustellenden zu vermehren. Die
Friedenspräsenz hat, wenn man die Marine mit zuzieht, durchaus gleichen
Schritt gehalten mit der Volksvermehrung, sie ist sogar noch rascher vor-
wärts gegangen. Es wird nun behauptet. 61000 Mann könnten mehr ein-
gestellt werden und wir verzichteten auf die Einstellung wehrfähiger junger
Leute. Ich möchte nun fragen: Haben wir nun tatsächlich diesen Ueber-
schuß an Wehrfähigen, Leistungsfähigen? Wir haben Bedenken, ob
diese Zahl wirklich vorhanden ist. Ich glaube, wir machen uns ein ganz
falsches Bild über die Reserve der überzähligen Tauglichen. 1911 waren
nach der bisherigen Aushebung nur 10087 Köpfe tauglich, die nicht ein-
gestellt wurden. Wegen bürgerlicher Verhältnisse waren im Reich 7000 nicht
ausgehoben worden, die unbedingt Tauglichen betrugen nur rund 3000.
Das klingt doch etwas anders, als wenn man es so darstellt, als ob 100000
Taugliche herausgelassen und nicht ausgebildet würden. Diesen übertriebenen
Vorstellungen müssen wir entgegentreten.
Generalleutnant Wandel: Der Vorredner hat schwerwiegende Be-
denken bezüglich der Aufbringung des Rekrutenersatzes erhoben.
Die Militärverwaltung hat diese Frage sehr eingehend geprüft. Sie ist
dazu gekommen, daß es ohne Zweifel und ohne irgendwelche Herabsetzung
der Anforderungen an die Leistungen möglich ist, voll die nötige Zahl zu
schaffen. Die Bestimmungen für die Aufbringung des Ersatzes sind 1893
gegeben worden. Sie sind bisher befolgt worden, und es soll daran nichts
geändert werden. Ze geringer der Ersatzbedarf ist, desto geringer ist natür-
lich auch die Zahl der Aushebungen. Wird gefordert, daß mehr aufgebracht
werden müsse, so ist das sehr leicht möglich. Das hat sich 1893 auch er-
geben. Im Jahre vorher wurden 1690000 Mann ausgehoben und im folgen-
den Jahre wurde, ohne mit den Ansprüchen herunter zu gehen, die Zahl
auf 235000 Mann erhöht. Man ist nur etwas herabgegangen bei der
Körvergröße. Das hat aber vorher schon keine Rolle gespielt. Die kleinere
Größe ist beim Militär eigentlich nur von Vorteil. Mir glauben, der Er-
satz wird leicht aufgebracht werden können. Das bestätigen die Erfahrungen,
die wir seit Jahren gemacht haben. Die Belastung wird bei uns noch
lange nicht so stark wie in Frankreich. Die Franzosen stellen 82 Prozent
ein und wir werden dann aufs 58 bis 59 Prozent kommen. (Hört! Hört!!
Es ist auch nicht beabsichtigt, bei der Behandlung der Reklamationen irgend-
eine Aenderung eintreten zu lassen. Die Vorschriften sollen durchaus nicht
rigoroser werden. Wir werden diese Reklamationen nach wie vor mit Wohl-
wollen behandeln. (Beifall.)
Abg. Dr. Hacgy (Elsaß-Lothringer): Die Vorlage hat in der Be-
völkerung Elsaß-Lothringens große Beunruhigung hervorgerufen. Man
glaubt dort an die Möglichteit eines Weltkrieges. Die Bevölkerung pro-