168 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (April 10.)
ihre Krönung in dem Beschluß der Reichstagsmehrheit vom 14. Mai 1912
auf die Einführung einer Besitzbesteuerung und in dem anderen
Beschluß der damaligen Reichstagsmehrheit auf Einführung eines Ausbaues
der Erbschaftsbesteuerung. Nun will ich anerkennen, daß der Herr Schatz-
sekretär gestern bei seiner Rede zugestanden hat, seine jetzigen Vorlagen
seien nicht als eine Erledigung des Besitzsteuerantrages von 1912 anzusehen.
Der Beschluß des Reichstages besteht also weiter. Der Bundesrat ist dem
ersten Antrage beigetreten: er hat sich verpflichtet, bis zum 30. April 1913
eine Vorlage über die Besteuerung des Besitzes einzubringen. Die jetzigen
Vorlagen, sagt der Herr Staatssekretär selbst, bedeuten nicht die Einlösung
dieses Versprechens. Ich harre des Augenblicks, wo die verbündeten Re-
gierungen, ihrem eigenen Beschluß getreu, bis zum 30. April dieses Jahres
uns die Besitzsteuer vorlegen werden. Etwas ganz anderes scheinen aber
die verbündeten Regierungen mit diesem Wehrbeitrag zu wollen, und
auch dies hat in seiner konzilianten Weise der Herr Schatzsekretär aus-
gesprochen. Auf gewissen Seiten des Hauses sieht man nämlich den Wehr-
beitrag als eine Art Abfindung, als eine Art Loskaufsgeld von der Besitz-
steuer an. Man sagt: wenn jetzt der Wehrbeitrag erhoben wird, dann kann
natürlich auf die wunden Schultern der Besitzenden nicht eine neue Last
gelegt werden; man kann keine neue Erbschaftsbesteuerung, keine neue andere
Besitzbesteuerung einführen. O, meine Herren, so haben wir nicht gewettet!
(Sehr richtig! bei den Sd.) Das ist nicht die Ansicht der Mehrheit des
Reichstags, jedenfalls nicht die Ansicht der Mehrheit vom 14. Mai 1912.
Die Deckungsvorlagen werden nicht ohne eine allgemeine direkte Besteuerung
des Besitzes, in erster Linie in Form eines Ausbaues der Erbschaftssteuer
Gesetz werden. Die Entscheidung darüber liegt bei der Mehrheit dieses
Hauses, und diese Mehrheit hat sich dazu entschlossen am 14. Mai 1912.
Ich warte erst noch, ob auch nur ein Teil dieser Mehrheit wagen kann,
von diesem damaligen Beschluß abzubröckeln. Wenn man den Ausführungen
des Führers der Nationalliberalen in Hannover trauen darf, den Worten
des Herrn Abg. Bassermann, so rechtfertigt sich bisher nicht die Befürchtung,
daß die Nationalliberalen fahnenflüchtig werden und den Beschluß vom
14. Juli 1912 ausgeben würden. Der Herr Abg. Bassermann hat vielmehr
ausdrücklich gesagt, daß seine Partei an der Einführung einer direkten Besitz-
besteuerung festhalte. Demnach ist die Mehrheit dafür vorhanden, und demnach
bin ich berechtigt zu sagen: die Deckungsvorlagen werden nicht verabschiedet
werden, es sei denn, daß sie ergänzt sind durch die Einführung einer direkten
Besteuerung des Besitzes in Form einer Erbschaftssteuer in erster Linie, —
wenn's nicht anders gehen sollte, in Form einer Reichsvermögenssteuer.
Aber der Umstand, daß wir im praktischen Falle die Heranziehung
der Besitzenden bewilligen, überhebt uns selbstverständlich nicht der Not-
wendigkeit, Kritik an Einzelheiten zu üben. Man hat gefragt, und namentlich
der Herr Reichsschatzsekretär hat sich gestern darüber mit uns unterhalten,
ob es möglich gewesen wäre, die Vorlage zu vermeiden und etwa eine An-
leihe zu machen. Er hat die Möglichkeit bestritten — ich glaube, mit Recht.
Nach dem schrecklichen Fiasko, das namentlich die letzte preußische Anleihe
erlitten hat, wäre es ja auch Vermessenheit gewesen, mit einer Anleihe
hervorzutreten — Vermessenheit, weil in der Tat eine vollständige Deroute
auf unserem Anleihemarkt gar nicht zu vermeiden gewesen wäre. Aber
damit ist nun noch lange nicht gesagt, daß die Entziehung so hoher Be-
träge, wie sie der Wehrbeitrag vorsieht, aus unserer Volkswirtschaft heraus
etwa bedenkenlos wäre, weil die Form besser ist. Glauben Sie doch nicht,
daß die Ueberwälzungsmöglichkeiten so gering wären. Schauen Sie
nur: wenn jemand, sagen wir 100000 Mark Vermögen hat, dann muß er