178 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (April 11.)
ruhe I.) Man führt, um dieses Gesetz zu unterstützen, in der Unterhallung
Kuriosa an, die doch kaum vorkommen, die reichen amerikanischen Erbschaften
usw. Es sieht fast so aus, als ob es in der Regel sei, daß jemand einen
unerwarteten Glücksfall hat. Es heißt nun, man solle Testamente machen.
Nun ist es aber die Eigentümlichkeit vieler Menschen, und sie werden sich
das nicht abgewöhnen, daß sie unerwartet sterben. Sehr viele Leute scheuen
sich aber, Testamente zu machen. Das ist eine Schwäche, aber menschlich
verständlich. Dadurch entstehen ernsthafte Familienkatastrophen. Ferner ist
in dem Gesetz eine höchst eigentümliche Bestimmung. Es gibt Personen,
die nicht testierfähig sind, wegen ihrer Jugend oder wegen Verfalls ihrer
geistigen Kräfte. Wunderbarerweise soll nun der Bundesrat das Recht haben,
über diese Familienvermögen zu befinden. Wenn die fiskalischen Behörden
über diese Zuwendungen zu entscheiden haben, dann kann man sich ungefähr
denken, wie angenehm das werden wird.
Reichsschatzsekretär Kühn: Der Vorredner hat sich sehr scharf gegen
den Entwurf über das Erbrecht des Staates gewandt. Seine Gründe werden
natürlich geprüft werden. Er hat den Vorwurf erhoben, daß die Begründung
ein Zerrbild des deutschen Volkes gebe. Ich kann erklären, das stimmt nicht.
Die Begründung ist nicht neu, sie hat im Jahre 1909 im Wortlaut vor-
gelegen, und damals sind Bedenken nicht erhoben worden. In der Begründung.
ist nur eine Feststellung der Tatsachen. Dieselben Erfahrungen hat man
wohl auch in anderen Ländern gemacht, daß sich die Familienbande ge-
lockert hatten. Nun hat der Vorredner befürchtet, daß man noch weiter
gehen werde in den Ansprüchen des Staates. Die Begründung spricht da-
gegen. Der Gesetzentwurf von 1908 sieht zunächst weiter als 1909. Es ist
also eine rückläufige Entwicklung eingetreten. Ich bitte, nicht zu vergessen,
daß der Grundsatz gelten muß: Wer vieles nimmt, muß von vielen etwas
nehmen. (Große Heiterkeit.)
Abg. Emmel (Sd.): Wir beteiligen uns an der Deckungsvorlage,
wenn die Annahme der Wehrvorlage sicher steht. Wir wollen dafür sorgen,
daß nicht wieder die Besitzlosen getroffen werden. Die Ausgaben können
selbstverständlich gegen unsere Stimmen bewilligt werden. Herr Graf Posa-
dowsky hat uns eine interessante Episode verschafft. Der ehemalige Reichs-
schatzsekretär macht seinem ehemaligen Geheimrat Vorhaltungen über die
Vorlage. Er hat auf die frühere eiserne Sparsamkeit der preußischen Re-
gierung hingewiesen und hat gesagt, wenn er wieder Gelegenheit haben
werde, so werde er wieder so sparsam sein. Es ist nur bedauerlich, daß er
diese Lehre früher selbst nicht befolgt hat. Die Arbeiter tragen schon ge-
nügend zur Erhaltung des Staates bei, auch wenn sie keine Steuern zahlen
müßten. Wir sind auf das schärfste gegen die Beibehaltung der Zuckersteuer.
Mit dem Wehrbeitrag sind wir soweit einverstanden. Wir wünschen nur,
daß jede Drückebergerei vermieden wird. Herr v. Payer hat gesagt, man
empfinde Dankbarkeit, daß die Fürsten sich beteiligen wollen. Das halten
wir für selbstverständlich. Gerade jetzt bewirbt sich der König von Württem-
berg um eine Lohnerhöhung. An die Freudigkeit, mit der die Steuern
aufgenommen worden seien, glauben wir nicht. Man will das Opfer der
Besitzenden als etwas ganz Besonderes darstellen. Die große Masse bringt
allein mehr als 1000 Millionen jährlich auf, wovon ein großer Teil in
die Taschen der Agrarier fließt. Darin findet man nichts Besonderes. Die
Erhebung von Matrikularbeiträgen ist eine Umgehung des Budgetrechts des
Reichstages. Man schreibt den Einzelstaaten die Besitzsteuern vor. Erst dann,
wenn sie sie nicht erheben, soll das Gesetz in Kraft treten. Die Erhöhung
des Kriegsschatzes lehnen wir ab, denn durch solche Erhöhungen wird die
Kriegsgefahr erhöht.