Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunundzwanzigster Jahrgang. 1913. (54)

186 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (April 12.) 
in der Lage, die Sache so zu arrangieren, wie es für die speziellen Ver- 
hältnisse und Zwecke des einzelnen Staates paßt. Auch das gibt keine 
absolute Gleichheit, aber von der angeblichen Wahrheit, daß Gleichheit immer 
Gerechtigkeit bedeute, werden Sie doch mit der Zeit abkommen. Ich möchte 
überhaupt bitten, daß Sie sich von dem Gedanken freimachen, daß die Besitz- 
steuer zum Rückgrat der Reichsfinanzen werden könnte. Ich weiß sehr wohl, 
es ist außerordentlich unpopulär, was ich damit sage. Ich bin auch voll- 
kommen darauf gefaßt, daß ich wieder einmal von Ihnen gesteinigt werde. 
Das ist mir aber schon oft passiert, und ich lebe doch noch. (Heiterkeit.) 
Also bitte, meine Herren, geben Sie den Gedanken auf! Der Ansturm auf 
die Besitzsteuern ist ja schon alt im Reichstage. Von der Linken wird er 
schon seit Jahrzehnten geführt. Der schärfste Ansturm datiert aber erst von 
den Jahren 1908 und 1909 her. Nun soll man doch bei der Bemessung 
der Tragfähigkeit der direkten und der indirekten Steuern nicht 
immer bloß von den Verhältnissen im Reich ausgehen. So wichtig staats- 
rechtlich das Moment ist, daß wir ein Bundesstaat und kein Einheitsstaat 
sind, so nebensächlich ist dieses Moment doch volkswirtschaftlich bei der Frage, 
die ich jetzt anschneide. Für den Steuerzahler kommt es darauf an, wie- 
viel an Abgaben für Kommune, Einzelstaat und Reich auf die direkte Be- 
steuerung gelegt worden ist. Und da möchte ich Sie nur an vier Zahlen 
erinnern. Für Deutschland — d. h. Reich, Einzelstaat und Kommune — 
sind für das Jahr 1911 die direkten Steuern auf 2100 Millionen Mark 
und die indirekten Steuern auf 2000 Millionen Mark berechnet worden. 
Die direkten Steuern haben also noch einen kleinen Ueberschuß über die 
indirekten Steuern. Nun sollte man annehmen, daß in einem so viel 
reicheren Lande als Deutschland, in Frankreich, einem Lande mit absolut 
demokratischen Grundsätzen, die direkten Steuern besonders scharf heran- 
gezogen wären. Meine Herren, für Frankreich werden die indirekten 
Steuern auf 2500 Millionen berechnet und die direkten auf 1350 Millionen. 
Also, während bei uns in Deutschland die direkten Steuern etwas höher 
sind als die indirekten, betragen in Frankreich die direkten Steuern nur 
etwas mehr als die Hälfte der indirekten. Die Behauptung also, die man 
so oft hört, daß bei uns in Deutschland die indirekten Steuern zugunsten 
der direkten Besteuerung prägraviert seien, ist eine Legende. Ich führe dies 
hier aus, um einmal dem doch sehr vagen Gedanken, der aber die Geister 
sehr viel beschäftigt, entgegen zutreten, als ob für die Zukunft das Heil für 
unsere Reichsfinanzen von Besitzsteuern zu erwarten sein würde. Das ist 
irrig, meine Herren. 
Der Gedanke des Wehrbeitrags ist gut ausgenommen worden, 
diesen Eindruck habe ich. Ja, man hat sogar sehr eifrig gestritten, wem 
der Ruhm der Vaterschaft des Gedankens zukomme, ob Ludwig XIV., ob 
dem Abg. David oder dem Herrn Reichsschatzsekretär Kühn. Ich für meine 
Person entscheide mich für den Herrn Reichsschatzsekretär und halte dafür, 
daß dieser sein Gedanke ein außerordentlich glücklicher gewesen ist. Denn 
alle nachträgliche Kritik, welche an dem Gedanken geübt worden ist, kann 
doch nicht die Größe des Eindrucks verwischen, den es im ganzen Vater- 
lande hervorgerufen hat, daß die weitesten Kreise unseres Volks willig und 
bereit sind, außergewöhnliche Opfer für unsere Rüstung auf sich zu nehmen. 
Ich kann Sie versichern, ich habe sehr zahlreiche Zustimmungen, die von 
tiefsem Patriotismus getragen sind, aus allen Ständen, von reich und arm, 
von Auslandedentschen, erhalten, und eine große Anzahl dieser Zustimmungen 
sind von freiwilligen Spenden begleitet gewesen, von Spenden auch von 
Personen, die nach den Absichten des Wehrbeitragsgesetzes nicht herangezogen 
werden würden, die aber einen Stolz und eine Ehre dareinsetzen, freiwillig
	        
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