Das Veutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (April 13. 14.) 189
Im April 1909 haben meine Freunde einen Antrag eingebracht, die indirekten
Steuern auf Lebens- und Genußmittel durch quotisierbare progressive Reichs-
einkommen- und Vermögenssteuern sowie durch entsprechende Erbschafts-
steuern zu ersetzen. Der Antrag ist von den Mehrheitsparteien in diesem
Hause einschließlich des Zentrums abgelehnt worden. Meine Freunde haben
im Jahre 1909 dem Regierungsentwurf betreffend die Erbanfallsteuer zu-
gestimmt. Der Gesetzentwurf wurde vom schwarzblauen Block abgelehnt.
Wir sind in der letzten Session für den Gesetzentwurf betreffend das Erb-
recht des Staats eingetreten. Die Mehrheitsparteien in diesem Hause haben
den Gesetzentwurf abgelehnt. Meine Freunde haben am Reichswertzuwachs-
steuergesetz mitgewirkt. Wir haben es aber schließlich abgelehnt, weil es
dazu ausgenutzt wurde, den Großgrundbesitz und die Fideikommisse zu be-
vorzugen, die Landesfürsten von der Steuer freizulassen, Privilegien, die
wir nicht unterstützen konnten. Sie sehen, meine Herren, die Arbeitswilligen
bei der Reichsfinanzreform sitzen auf der äußersten Linken, und die Arbeits-
verweigerer sind in diesem Falle die rechtsstehenden Parteien.
13. April. Die „Nordd. Allgem. Zeitg.“ über die Reichstags-
debatten zu den Wehrvorlagen:
„Die erste Lesung der Wehrvorlage hat über die prinzipielle Stellung
des Reichstags klare Aufschlüsse gegeben. Keine der bürgerlichen Parteien
will die Verantwortung für die Ablehnung der Wehrforderung übernehmen,
der Reichstag ist vielmehr bereit, im Verein mit den verbündeten Regie-
rungen die Verstärkung unserer Armee durchzuführen. Das ist von den
Rednern der verschiedenen Parteien schlicht und ohne Pathos zum Ausdruck
gebracht worden und nicht aus einer hoffnungslosen Resignation heraus,
wie man es von sozialdemokratischer Seite gern darstellen wollte, sondern
in der Erkenntnis einer vaterländischen Notwendigkeit, die ein frisches, tat-
kräftiges Handeln erfordert. Die Verhandlungen wurden von dem Ge-
danken beherrscht, daß wir der Zukunft mit ruhigem Gewissen entgegen-
gehen können, wenn wir uns so stark machen, als wir es vermögen. Gewiß
ist auch manches kritische und abfällige Wort gesprochen worden. Die große
Linie der Gesamtauffassung, zu der sich die Parteien mit dem Reichskanzler
zusammenfanden, ist dadurch aber nicht verwischt worden. Dies feststellen
zu können ist für jeden Patrioten Genugtuung und Freude."“
14. April. (Köln.) Erzbischof v. Hartmann richtet an den
Klerus der Kölner Diözese ein Hirtenschreiben, in dem er die Geist-
lichen dringend ermahnt, sich eng an den Papst anzuschließen, und
sich dagegen wendet, daß päpstliche Anordnungen, namentlich vor
Laien, kritisiert werden.
14. April. (Reichstag.) Fortsetzung der zweiten Beratung
des Etats für das Auswärtige Amt.
Abg. Bassermann (Nl.), Berichterstatter der Budgetkommission: Es
wurde seitens des Herrn Staatssekretärs darauf hingewiesen, daß nicht nur
die Diplomatie, sondern auch die Militärs aller Länder überrascht worden
seien, man habe sich über die Widerstandsfähigkeit der Türkei ge-
täuscht. In der Kommission wurde von einem Mitgliede auf bestimmte
Informationsquellen hingewiesen und als wünschenswert bezeichnet, daß die
Diplomatie sich dieser Mittel bediene. Wenn man sich beispielsweise mit
den Industrien auf dem Gebiete des Medizinalwesens, der Automobil-
und Lederindustrie in engere Verbindung setze, dann sei man wohl in der