Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunundzwanzigster Jahrgang. 1913. (54)

192 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (April 14.) 
zu danken. Ein Verdienst hat aber auch das Communigque der russischen 
Regierung, weil es beweist, daß Rußland den festen Willen hat, an den 
Beschlüssen der Londoner Konferenz festzuhalten. Es ist zu hoffen, daß auch 
das widerspenstige Montenegro sich schließlich dem Willen Europas fügen 
und sich in das Unabänderliche finden wird. Die Petersburger Verhand- 
lungen über die rumänisch-bulgarische Frage nähern sich ihrem Ende. 
Ich hoffe, daß eine Lösung gefunden wird, welche beiden Parteien annehm- 
bar ist. Wenn wir uns dabei bemüht haben, den rumänischen Wünschen 
gerecht zu werden, so ist das auf Grund des langjährigen Freundschafts- 
verhältnisses geschehen, in dem wir zu Rumänien stehen, und zweitens auch 
deshalb, weil Rumänien der einzige Staat am Balkan gewesen ist, der 
dem Wunsch der Mächte Gehör geschenkt und auf ein kriegerisches Eingreifen 
verzichtet hat. Rumänien ist unter der weisen Regierung König Carols stets 
ein Element des Friedens und der Ordnung am Balkan gewesen. (Bravo!) 
Meine Herren, den Gang der Ereignisse am Balkan zu hindern, lag nicht 
in unserer Macht und war auch nicht unsere Aufgabe. Wir haben uns mit 
den anderen Mächten darauf beschränkt, den Krieg zu lokalisieren, und das 
ist uns, dank der Einmütigkeit und Friedensliebe Europas bisher gelungen 
und wird, hoffe ich, auch noch weiter gelingen. Bei der endgültigen Liqui- 
dation des Krieges werden wir bemüht sein, unsere finanziellen und Handels- 
interessen vor Schaden zu bewahren. Die Balkanstaaten haben in diesem 
Krieg einen Beweis ihrer nationalen Kraft gegeben, und ich nehme an, daß 
sie sich auch bemühen werden, nach dem Friedensschluß mit dem gleichen 
Ernst und der gleichen Entschlossenheit an die kulturelle Erschließung der 
neu eroberten Gebiete zu gehen. Auf Deutschlands Mitarbeit können sie 
hierbei zählen. Die Türkei ist zwar mit schweren Wunden, aber doch in 
Ehren aus dem Kampfe hervorgegangen. Ihr großer, erst zum Teil er- 
schlossener asiatischer Besitzstand bietet ihr noch ein weites Feld zur Kräftigung 
und Konsolidierung. Wir hoffen, daß wir bei den bevorstehenden Verhand- 
lungen an unserem Teile mitwirken können, daß ihr die Erfüllung dieser 
Aufgaben nicht erschwert wird. 
Abg. Bernstein (Sd.): Was wir heute gehört haben, ist nun auch 
keineswegs eine Musik, die uns befriedigt. Die Vorgänge, die sich jetzt ab- 
spielen, erinnern in mancher Hinsicht an das Werk des mit Recht verrufenen 
Wiener Kongresses von 1815, wo man die Völker ohne Rücksicht auf ihren 
Willen und Munsch verschacherte, ohne Rücksicht auf die natürlichen Be- 
ziehungen in den Verhältnissen der Völker, auf ihre in nationalen Ent- 
wicklungen und Bestrebungen liegenden Zusammenhänge. Hier haben wir 
die Frage Rumänien-Bulgarien, wir haben den Konflikt Bulgarien-Griechen- 
land und Serbien-Oesterreich. Von den verbündeten Regierungen haben 
wir von neuem hier, wie schon in der Budgetkommission, gehört, daß sie 
die Forderungen Rumäniens unterstützen, und zwar, wie der Herr Bericht- 
erstatter sagte, die „berechtigten" Forderungen Rumäniens. Ja, was sind 
denn aber die berechtigten Forderungen Rumäniens? Wenn Rumänien in- 
folge der Verschiebung der Machwerhältnisse auf dem Balkan verlangt, daß 
die Festungswerke von Silistria geschleift werden, — nun, dagegen haben 
auch wir nichts, dem können wir uns ruhig anschließen, und das werden 
auch die Bulgaren mit Freude oder jedenfalls mit Leichtigkeit unterstützen. 
Benn aber Rumänien außerdem die Abtretung von Silistria verlangt, so 
ist das ganz etwas anderes. Es ist uns in der Budgetkommission zugestanden 
worden, und es ist gar nicht zu leugnen, daß die Bevölkerung von Silistria 
zu mehr als drei Vierteln bulgarisch ist und nicht rumänisch, daß von 
11000 Einwohnern 9000 bulgarisch sind und 2000 rumänisch. Mit welchem 
Argument will man da bezüglich der Forderung Rumäniens, daß ihm
	        
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