224 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Ende April.)
Unterstaatssekretär Holtz: Den von dem Vorredner angegebenen
Anregungen wird von neuem nachgegangen werden. Was insbesondere die
Eintragungen in die Zählkarten anbetrifft, so ist es allerdings vielfach vor-
gekommen, daß die Sprachenverhältnisse böswillig verschleiert worden sind.
Hier soll nach Möglichkeit Remedur eintreten.
Bei der Polizeiverwaltung von Groß-Berlin bemerkt Staats-
minister a. D. von Studt: Ich habe schon oft Uebelstände Groß-Berlins
hier zur Sprache gebracht. Immer sind meine Befürchtungen durch die
Wirklichkeit bei weitem übertroffen worden. So ist es auch diesmal. Er-
schreckend ist die enorme Zunahme der Zahl der Branntweinschankstätten,
wo junge Leute vielfach in Versuchung geführt werden, sodaß sie dann
auch Unterschlagungen begehen. Dasselbe gilt von den Animierkneipen.
Pedauerlich ist auch, daß die Schundliteratur und die Schaustellung von
Nuditäten in den Schaufenstern immer mehr überhand nimmt im Gegen-
sat zu anderen germanischen Ländern. Derselbe Ton herrscht in den Witz-
blättern, ich erinnere nur an das „Journal Amusant“. Man muß deshalb
alle die Bestrebungen unterstützen, die hierin eine Abhilfe schaffen wollen.
Bedauerlich ist auch, daß die sanitären Zustände, ganz besonders auf dem
Gebiete der Wohnungsfürsorge, sich noch nicht gebessert haben, und daß die
Mietskasernen immer noch so überwiegen. Diese Zustände sind direkt un-
haltbar. Eine Aenderung wird hoffentlich durch das geplante Wohnungs-
gesetz eintreten. Dabei nimmt man auch hoffentlich baupolizeiliche Vorschriften
mit auf, damit endlich dem Wirrwarr des Straßenbaues ein Ende gemacht
wird; so fehlt es ganz besonders an Freiflächen. Auch die Verkehrsmiseren
am Belle-Allianceplatz und Potsdamerplatz müssen aufhören. Ich freue mich,
daß der Minister am 15. April im Abgeordnetenhause den deutlichen Willen
zum Ausdruck gebracht hat, die Mißstände unseres öffentlichen Lebens zu
bekämpfen. Gegenüber den jetzt drohenden großen Arbeitseinstellungen ist
auch ein energischer Schutz der Arbeitswilligen nötig.
Unterstaatssekretär Holtz: Der größte Teil der soeben erwähnten
Fragen wird schon von der Regierung erwogen. So ist auch in Aussicht
genommen, eine Novelle zur Gewerbeordnung zu schaffen. Der Bekämpfung
der Schundliteratur wird die größte Aufmerksamkeit entgegengebracht. Ein
Entwurf für das Wohnungsgesetz ist in Ausarbeitung. Dabei wird es ja
auch später möglich sein, die baupolizeilichen Verordnungen mitzuerörtern.
Oberbürgermeister Wermuth: In der Wohnungsfrage hat Berlin
schon einen Schritt nach vorwärts getan, indem es am 1. Oktober ein
Wohnungsamt eröffnen will. In betreff der Freiflächen schließt sich Berlin
dem Vorgehen anderer Städte an. Es hat ja schon den Exerzierplatz an
der einsamen Pappel erworben und zu einem Spielplatz umgewandelt. Die
Stadt will auch das Aufmarschgelände für denselben Zweck verwenden.
Ende April. Dem Bilderwerk „Deutschland in Waffen“ hat
der Deutsche Kronprinz ein „Wort zum Geleit“ vorausgeschickt, in
dem es heißt:
„Seit dem letzten großen Kriege hat Deutschland eine Periode wirt-
schaftlichen Aufschwungs hinter sich, die fast etwas Beängstigendes an sich
hat. Der Wohlstand ist in allen Kreisen unseres Volkes derartig gestiegen,
daß die Ansprüche an die Lebenshaltung und der Luxrus sich üppig ent-
wickelt haben. Nun soll gewiß nicht undankbar verkannt werden, daß ein
hoher wirtschaftlicher Aufschwung viel Gutes schafft. Aber die Schattenseiten
dieser allzu raschen Entwicklung treten vielfach peinlich und drohend hervor.
Schon hat die Bewertung des Geldes bei uns ein Gewicht gewonnen, das