244 Das Vetsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Juni 11.)
wollen jeden Mann und jeden Groschen bewilligen, und nicht nur jeden
Mann, sondern auch jedes Pferd; wir wünschen die Wiederherstellung der
in der Kommission gestrichenen drei Kavallerieregimenter, entsprechend dem
von uns gestellten Antrag Bassermann. Wie wir bedingungslos die Wehr-
vorlage bewilligen, so sind wir auch bezüglich der Deckung zu jedem Opfer
bereit. Aber wichtiger als jede Deckungsfrage ist für uns die Tatsache, daß
die Wehrvorlage bis zum 1. Juli beschlossen sein muß, damit sie am 1. Ok-
tober in Kraft treten kann. Wer die französische Geschichte kenne, werde
wissen, daß die Entschließungen Frankreichs in schweren Zeiten immer durch
energische Minoritäten, aber nicht durch schwankende Majoritäten gefallen
seien, das sei auch wieder die Signatur der französischen Regierung, man
spreche nicht vom Kriege, man spreche nur von der Befürchtung, von Deutsch-
land angegriffen zu werden, aber diese Befürchtung sei unwahr. Wer war
es doch, der als Minister in Frankreich in diesem Sinne von den blauen
Linien der Vogesen sprach, war das nicht Poincaré? In einem aus Paris
datierten Brief an einen meiner Parteifreunde heißt es, daß kein französischer
Soldat Ruhe haben würde, solange es einen deutschen Elsässer gebe: unsere
Sache sei es, daraus die Konsequenzen zu ziehen. Ein französischer Minister,
der damit einverstanden wäre, den deutsch-französischen Gegensatz zu
überbrücken, würde sich nicht in der Kammer und in der Presse behaupten
können. Nach Fürst Bismarck war die Zeit damals noch nicht da, wo der
deutsch-französische Zwist zu Ende ist. Genau so ist es heute: Wo immer
in der Welt wir etwas zu verhandeln haben, da treffen wir auf der Seite
unserer Gegner Frankreich. Wir werden sehen, daß bei den gegenwärtigen
Finanzverhandlungen in Paris auch unser Interesse durch Frankreich wohl
kaum gewahrt wird, obgleich unsere Haltung in dieser ganzen Krisis fried-
lich war und unsere auf dem Balkan zu schützenden Interessen so große
sind. Wenn wir vielleicht einmal die Möglichkeit haben, uns mit England
zu verständigen, dann müssen wir immer befürchten, daß durch fran-
zösische Eifersucht bald wieder neue Schwierigkeiten auftauchen. Was be-
deutet all die Liebedienerei Frankreichs gegen Rußland? Für Rußland hat
das Bündnis vielleicht lediglich defensiven Charakter, für Frankreich sicher
nur einen aggressiven. Das zwingt uns zu der schweren Rüstung. Wir
haben deshalb dafür zu sorgen, daß, wenn noch einmal ein Krieg mit
Frankreich kommt, wir es zum zweitenmal besiegen können und dann gründ-
lich. Wir wollen es ja nicht in Abrede stellen, daß unser Beschluß die fran-
zösische Kammer beeinflußt, aber der Entschluß Frankreichs, die jetzige Heeres-
vorlage einzubringen, war längst vor unserer Heeresvorlage gefaßt. Be-
schweren sich französische Kreise darüber, dann mögen sie sich bei ihrer
eigenen Presse und ihren Chauvinisten bedanken. Gerade die vornehme fran-
zösische Presse hat den Respekt und die Achtung gegen uns vermissen lassen,
die jedes große Land beanspruchen kann. Diesen Haß werden wir nicht
durch freundliches Entgegenkommen besiegen. Tatsächlich haben wir zwanzig
Jahre ruhig zugesehen, wie Frankreich sich in Afrika ein gewaltiges Kolonial-
reich schuf. Wir hatten gehofft, Frankreichs Ehrgeiz sei dadurch befriedigt,
und es würde unsere Grenzen zufrieden lassen. Jetzt sehen wir, wie in
Elsaß-Lothringen gewühlt wird. Auch die vielen Anwerbungen für die fran-
zösische Fremdenlegion, die tatsächlich erfolgen, sind eine Herausforde-
rung gegen uns. An uns Abgeordnete tritt man oft heran, dabei zu helfen,
um Leute daraus zu befreien, die durch unlautere Mittel angeworben worden
sind. Das ist doch direkt ein unwürdiger Zustand. Wenn Frankreich in
Afrika Soldaten braucht, dann müßte es auch den Mut haben, eigene Leute
dorthin zu schicken. Fürst Bismarck sagte, je stärker wir sind, desto unwahr-
scheinlicher wird der Krieg. Das ist doch die ganze Begründung für diese