Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (August 25.) 301
periode; er berührte sich vielmehr gerade in seiner Betonung des Deutsch-
tums innerlich vielfach mit jener jüngeren Strömung, die eben damals ein
tieferes Verständnis für geschichtliches Werden und Wachsen, die Wieder-
belebung religiösen Sinnes und eine höhere Anschauung von den Pflichten
gegen das Vaterland anbahnte. Aus ähnlichen geistigen Quellen schöpfte
auch der nationale Aufschwung, der unter dem härtesten Druck der Fremd-
herrschaft im Norden Deutschlands, in Preußen, einsetzte. Hervorragende
Männer, aus verschiedenen Deutschen Ländern stammend, ausgezeichnet durch
seltene Geistes= und Willensstärke, arbeiteten zusammen an dem Wieder-
aufbau Preußens und seiner Wehrkraft; alle Volkskräfte wurden zu dieser
Aufgabe aufgeboten. Früher, als viele gehofft und gedacht, brach die Zeit
der Entscheidung an. Noch beim Auszug Napoleons gegen Rußland hatte
fast ganz Europa dem Franzosenkaiser Heeresfolge leisten müssen. Der
Untergang der großen Armee auf den russischen Schneefeldern brachte dem
Bau der Napoleonischen Weltherrschaft die erste schwere Erschütterung, ließ
den unterdrückten Völkern die schließliche Zertrümmerung dieses Baues nicht
mehr unmöglich erscheinen. Von Preußen leuchtete das Feuerzeichen zur
Erhebung auf. Herrlich, viel und doch nie genug gepriesen, waren der
Opfermut und die Opferwilligkeit, die das ganze Volk, jung und alt, arm
und reich, Mann und Weib, dem Aufrufe des Königs entgegenbrachte. Man
war sich bewußt, daß es sich nicht nur um Preußen, sondern um ganz
Deutschland und seine Errettung handelte. Noch schwankte in den ersten
harten Rämpfen, da Preußen mit dem verbündeten Rußland allein die Last
des Krieges zu tragen hatte, die Wage des Sieges. Es schlug die Stunde,
da Oesterreich sein Schwergewicht auf die Seite des Befreiungswerkes stellte
und nun ein umfassender, nachhaltiger Angriff auf Napoleons Heermacht
möglich wurde. Jetzt, durch Oesterreichs entgegengestreckte Hand vermittelt,
erfolgte auch die Abwendung Bayerns und weiterhin der übrigen süd-
deutschen Staaten von Napoleon, die Vereinigung ganz Deutschlands
zur Abschüttelung des fremden Joches. Freudigst begrüßt wurde der im Ver-
trage zu Ried am 8. Oktober 1813 vollzogene Bayrisch-Oesterreichische Zu-
sammenschluß vor allem von Bayerns Thronfolger, der nicht müde geworden
war, zu diesem Ziele zu mahnen und seine Erreichung, soviel nur in seinen
Kräften lag, vorzubereiten und zu beschleunigen. An der großen Völker-
schlacht freilich, die in den Tagen vom 16. Oktober bis 19. Oktober bei
Leipzig geschlagen wurde, konnten die bayerischen Truppen noch nicht teil-
nehmen. Aber der kühne und zähe Flankenstoß gegen die Rückzugslinie
Napoleons bei Hanau zeigte, wie ernst es der bayerischen Armee war, die
Waffenbrüderschaft mit den Freiheitskämpfern von Leipzig zu bewähren, und
in den weiteren Kämpfen, die zur völligen Niederringung des Feindes not-
wendig waren, auf den Gefilden der Aube und Champagne, haben auch
die Süddeutschen noch manches kostbare Blutopfer beigetragen. Von den
Erzschildern der Siegesgöttinnen, die uns hier umgeben, grüßen die Namen
und Daten der im Befreiungskampf gewonnenen Schlachten und Treffen,
von den Marmortafeln über den Nischen die Namen der hervorragendsten
Feldherren der verbündeten deutschen Heere. Unvergessen sind aber die
Tausende und Abertausende, die auf dem Felde der Ehre geblieben sind,
die Leben und Gesundheit, Gut und Blut für des Vaterlandes Befreiung
dahingegeben haben. Erreicht ist worden mit allen diesen Opfern das
nächste und größte Ziel des Kampfes, die Niederwerfung der Fremdherr-
schaft, die Wiederherstellung der Unabhängigkeit und Freiheit Deutschlands
nach außen — nicht erreicht aber wurde eine politische Gesamtorganisation
Deutschlands, wie sie zur wirksamen Geltendmachung der deutschen Inter-
essen im Wettbewerb der Nationen erforderlich gewesen wäre. Der Wiener