Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 13.) 19
sogar in diesem Alter Verbrechen vorkommen. wie man sie kaum einem
Menschen in diesen Jahren zutrauen möchte. Wir haben in den Zeitungen
darüber gerade in der letzten Vergangenheit mehreres gelesen. Ich resü-
miere meine Ansicht dahin, daß das Legalitätsprinzip den Jugendlichen
gegenüber einzuschränken ist, soweit sie das 16. Lebensjahr nicht überschritten
haben, daß es hingegen keine Einschränkung erfahren darf, soweit Jugend-
liche zwischen 16 und 18 Jahren in Frage kommen.
Abg. Dr. v. Liszt (Fortschr. Bp.): Wir würden gern eine reichs-
rechtliche Regelung der Grundlagen unserer Fürsorgeerziehung wünschen oder
wenigstens eine reichsrechtliche Ueberwachung unserer Fürsorgeerziehungs-
anstalten durch besondere Kommissare. Ich verzichte aber auch darauf, wenn
es nicht durchsetzbar ist. Aber was ich als unbedingt einzuarbeiten ver-
langen würde, wäre erstens in Uebereinstimmung mit mehreren Vorrednern
die Herauflegung der Strafmündigkeit vom 12. bis 14. Lebensjahre, dann
die Ersetzung der bedingten Begnadigung durch die bedingte Verurteilung.
Als drittes möchte ich die Einführung der Rehabilitierung für die Jugend-
lichen betonen.
Abg. Pospiech (P.): Es wird nun so viel über die Verrohung
der Jugend und über die zahlreichen Bestrafungen Jugendlicher geklagt.
Jetzt geht man daran, die gefallenen jungen Menschen mit besonderer Liebe
und Fürsorge zu umgeben. Ich meine aber, daß diese Liebe und Fürsorge,
mit der man die jungen Leute umgibt, sehr zweifelhaft in ihren Erfolgen
sind. Man müßte viel mehr darauf bedacht sein, die Jugend vor dem Fall
zu hüten und alle Mittel anzuwenden, um die Ursachen des Uebels zu be-
seitigen. Heutzutage hat man sich mit aller Macht auf die Jugendpflege
geworfen. Man tut da alles mögliche, man gründet Vereine verschiedener
Art. Aber ich glaube, diese Art von Jugendpflege, wie sie von staatlicher
Seite betrieben wird, wird ihren Zweck und ihr Ziel nicht erreichen. Wenn
wir Polen auch eine gewisse Verrohung unserer Jugend beklagen müssen,
so muß ich hier von dieser Stelle aus den schweren Vorwurf gegen die
preußische Regierung richten, daß sie durch ihre verkehrte Schulpolitik, wo
sogar der Religionsunterricht zu Germanisierungszwecken mißbraucht wird,
wo der Religionsunterricht nicht in der Muttersprache erteilt wird, und
daher die Wahrheiten der Religion nicht bis zum Herzen des Kindes dringen
können, es erreicht hat, daß auch bei unserer Jugend die Verrohung immer
mehr zunimmt.
Abg. Warmuth (Rp.. Hofp.): Der § 11 beschäftigt sich mit der
Oeffentlichkeit des Strafverfahrens gegen Jugendliche. Nun ist die
Oeffentlichkeit eine der wichtigsten Garantien für eine unparteiische Recht-
sprechung, und man muß sich hüten, das Prinzip zu durchlöchern, man soll
es nur in äußersten Notfällen tun, aus schwerwiegenden Gründen. Solche
schwerwiegende Gründe liegen aber zweifellos hier vor. Es ist doch sehr
naheliegend, das ein verdorbener, insbesondere ein großstädtischer Jugend-
licher, der auf der Anklangebank sitzt und im Zuhörerraum ein Publikum
versammelt findet, daß nach seiner Erwartung erwartungsvoll dem Schau-
spiel zusieht, das sich entrollt, daß sich dieser junge Mann auf seiner An-
klagebank sehr interessant vorkommen wird, daß er sich vielleicht ganz be-
sonders bemühen wird, möglichst ungeniert und dreist vor dem Richter-
kollegium zu erscheinen, um den Beifall des Publikums, unter dem sich
vielleicht seine Freunde, und Genossen befinden, zu erregen. Meine Herren,
das soll vermieden werden. Auf der anderen Seite soll man auch die Jugend-
lichen schützen, denen noch ein lebendiges Schamgefühl innewohnt, was wohl
hoffentlich noch in den meisten Fällen vorhanden sein wird. Wir sollen auch
nicht vergessen, daß ein jugendlicher Angeklagter, der einmal vor der Oeffent-
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