Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 14. 15.) 21
14. Januar. (Elsaß-Lothringen.) Wahl des Präsidiums
der Zweiten Kammer.
Zum Präsidenten der Zweiten Kammer wird mit 54 Stimmen der
Abg. Dr. Ricklin (Z.) wiedergewählt. Zum 1. Vizepräsidenten wird Abg.
Lebroise (Lothr. Block) mit 51 Stimmen, zum 2. Vizepräsidenten der Abg.
Böhle (Sd.) gewählt. Zu Schriftführern werden gewählt die Abgeordneten
Gilliot (Z.), Zimmer (Lothr. Block), Immer (Fortschrittler) und Wolfer (Sd.).
14. Januar. Bekanntgabe der Ernennung des Botschafters
v. Jagow zum Staatssekretär des Auswärtigen Amts.
Zu seinem Nachfolger in Rom wird Frhr. v. Jenisch, bisher preußischer
Gesandter in Darmstadt, ernannt, der aber aus Gesundheitsrücksichten den
Posten nicht antreten kann.
15. Januar. (Reichstag.) Fortsetzung der zweiten Beratung
des Etats des Reichsamts des Innern. Wetterlé. Amerikanische
Fortschrittspartei.
Abg. Frhr. v. Gamp-Massaunen (Rp.): Namens meiner politischen
Freunde habe ich zunächst unsere einmütige Entrüstung über das Auftreten
des Reichstagsabgeordneten Wetterlé auszudrücken. Auch die Genossen
des Herrn Abgeordneten im elsässischen Landtage haben bereits ihrer Miß-
billigung und ihrer Empörung über dieses Verhalten des Herrn Abgeordneten
Wetterle Ausdruck gegeben, und zwar auf Anregung und unter Führung
unseres Parteifreundes Höffel, dem ich an dieser Stelle unseren Dank für
dieses Vorgehen aussprechen möchte. Meine Herren, die Geschäftsordnung
des Deutschen Reichstags gestattet nicht, eine ähnliche derartige Kund-
gebung hier herbeizuführen; aber, meine Herren, das möchte ich doch aus-
sprechen, daß ein Mann, der so auftritt, wohl selbst einsehen müßte, daß
für ihn im Deutschen Reichstag kein Platz ist.
Abg. Irl (Erding, Z.): Ich möchte bei dieser Gelegenheit auch
namens meiner Parteifreunde erklären, daß wir das jetzige Auftreten des
Herrn Abgeordneten Dr. Wetterlé, wenn die Zeitungen richtig darüber be-
richten, durchaus mißbilligen (bravo! im Z.), daß aber der Abgeordnete
Dr. Wetterlé nicht Mitglied des Zentrums des Reichstags ist, auch noch
nicht war.
Staatssekretär des Innern Dr. Delbrück: Hat denn der Herr Ab-
geordnete Fischer recht, hat er — ich rechne meine Korrespondenz über die Wahl-
urnen nicht dazu — irgendeinen Grund dafür beigebracht, daß die Mängel
unserer sozialpolitischen Entwicklung in unserer Verfassung und in der Be-
schaffenheit unserer Regierungen ihren Grund haben? Ich möchte da auf
ein interessantes Moment aufmerksam machen. In den Vereinigten Staaten
von Nordamerika hat sich aus Anlaß der letzten Präsidentenwahl eine neue
Partei gebildet, und das Programm dieser Partei ist besonders ausgezeichnet
durch umfassende Forderungen auf sozialem Gebiete, die erkennen lassen,
was auf diesem Gebiete in den Vereinigten Staaten von Nordamerika
alles noch nicht geschehen ist. Das Programm der Fortschrittspartei
in Amerika fordert unter andern: bessere Volksschulen, Fortbildungs- und
beruflichen gewerblichen und landwirtschaftlichen Unterricht, Verbot der
Nachtarbeit für Frauen, Achtstundentag für Frauen und Jugendliche, Lohn-
ämter zur Festsetzung der Mindestlöhne für Arbeiterinnen unter Abstufung
nach Berufen, sanitären und betriebstechnischen Mindestschutz, Unfallent-
schädigung, Fürsorge für den Fall der Krankheit, der Arbeitslosigkeit und des
Alters, größere Fürsorge für die Einwanderer, Schutz gegen das Unwesen auf