Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunundzwanzigster Jahrgang. 1913. (54)

336  Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Oktober 22.—24) 
daß die Meere eine Einheit bilden und daß Schiffe, die ursprünglich für 
das eine Meer gebaut worden sind, gerade so gut in einem anderen Teile 
des Weltmeeres zur Verwendung kommen können.“ 
      „Ich komme nicht aus der Verwunderung heraus," so fuhr der 
Staatssekretär des Reichsmarineamtes fort, „daß die deutsche Flotte als 
eine Gefahr oder als eine Drohung aufgefaßt wird. Alle Nationen bauen 
zurzeit große Flotten, Frankreich, Rußland, die Vereinigten Staaten, selbst 
Griechenland und die Südamerikanischen Republiken, um nicht von Oesterreich-- 
Ungarn und Italien zu sprechen. Frankreich und Rußland sind Verbündete, 
und diese Staaten geben zusammen weit mehr für ihre Flotte aus als 
Deutschland. Sollte da Deutschland als eine große europäische Macht, die 
es nun einmal ist,“ so fragte der Großadmiral emphatisch, „keine Flotte 
zu seinem Schutze haben? Ich möchte nicht, daß es den Anschein hat, als 
wollte ich auf die britische Marinepolitik auf irgend eine Weise einen Ein- 
fluß ausüben. Aber ich bestehe darauf, daß Deutschland das Gefühl absoluter 
Sicherheit haben muß. Das Deutsche Reich wird es nicht wieder dazu 
kommen lassen, daß es den Kampfplatz für die Völker Europas abgibt. 
Für die britische Flotte hege ich große Bewunderung und habe nur die 
angenehmsten Erinnerungen an die britischen Marineoffiziere, mit denen 
ich häufig in Berührung gekommen bin. Die deutsche Flotte hat dem Bei- 
spiel der britischen viel zu verdanken. Ich bin froh zu sehen,“ so schloß 
Admiral v. Tirpitz seine Ausführungen, „daß es zwischen beiden Ländern, 
Deutschland und England, keinen Grund zu ernsten Meinungsverschieden- 
heiten gibt. Der Zweck meiner Unterredung mit dem Vertreter eines eng- 
lischen Blattes ist es gewesen, daß das englische Volk die deutsche Marine 
und ihre Aufgabe möglichst gründlich kennen lerne. Eine derartige Kenntnis 
kann für beide Völker nur von wohltuender Wirkung sein."“ 
         23. Oktober. (Reichstagsersatzwahl.) In Neumarkt er- 
hielt Lederer (Z.) 11649, Dollinger (liberal und Bauernbund) 1000 
und Trummert (Soz.) 527 Stimmen. 
         W. Oktober. (KHamburg.) Der Entwurf des Staatsbudgets 
für 1914 schließt im ordentlichen Etat bei einer Gesamteinnahme 
von Mk. 179632855 und einer Gesamtausgabe von Mk. 193162154 
mit einem Fehlbetrag von Mk. 13529299. 
          24. Oktober. Auf dem Wege zur deutsch-englischen Kolonial- 
verständigung. 
Bericht der Vossischen Zeitung. Der Sonderberichterstatter des „Daily 
Chronicle“ Mr. Leyland berichtet seinem Blatt, er habe von berufener Seite 
erfahren, daß zwischen Deutschland und England Verhandlungen von weit- 
tragender Bedeutung über beiderseitige Kolonialfragen geführt werden. 
Ich bin in der Lage, hierzu ergänzend zu bemerken, daß die jetzigen 
Verhandlungen das Schlußglied in einer Kette von äußerst wichtigen, geheim 
geführten politischen Besprechungen bilden, die in den letzten zwei Jahren 
teils in London, teils in Berlin geführt worden sind. Der Besuch Dr. Solfs 
in London, die Reise Lord Haldanes und Viscount Morleys nach Berlin 
stellen Etappen auf dem Wege zu der geplanten großzügigen Kolonialver-- 
verständigung dar. 
Ich glaube, ohne ein Dementi befürchten zu befürchten, folgendes 
hinzufügen zu können: Geplant ist die Einrichtung von Interessensphären
	        
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