Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Oktober 27.) 339
mehr im Wege stehen würde. Der Bundesrat aber hat eine entscheidende
Aenderung der Sach- und Rechtslage nicht anerkennen können und dem-
gemäß am 28. Februar 1907 (§ 153 der Protokolle) den durch den Be-
schluß vom 2. Juli 1885 geschaffenen Rechtszustand aufrechterhalten.
Seit dieser Zeit sind durch eine Kette von Ereignissen die Be-
ziehungen des Herzoglich braunschweig-lüneburgischen Hauses zu Preußen
und seinem Königshause derart verändert worden, daß eine erneute Nach-
prüfung der Angelegenheit geboten erscheint.
Nachdem der Prinz Georg Wilhelm am 20. Mai 1912 gestorben
ist, kommt als Herzog von Braunschweig, sobald Seine Königliche Hoheit
der Herzog von Cumberland den im Jahre 1906 und jetzt erneut in Aus-
sicht gestellten Verzicht auf den braunschweigischen Thron ausgesprochen
haben wird, lediglich Seine Königliche Hoheit der Prinz Ernst August in
Betracht. Durch die Vermählung des Prinzen mit Ihrer Königlichen
Hoheit der Prinzessin Viktoria Luise von Preußen sind zwischen dem
preußischen Königshaus und dem Herzoglich braunschweig-lüneburgischen
Hause enge Familienbeziehungen geschaffen worden. Seine Königliche
Hoheit hat außerdem mit Zustimmung seines Herrn Vaters seine Anstellung
als Offizier im Königlich preußischen Heere nachgesucht und Seiner
Majestät dem Kaiser und König Treue und Gehorsam eidlich gelobt. Er
erblickt in diesem Eide, wie er dem unterzeichneten Reichskanzler und
Königlich preußischen Ministerpräsidenten gegenüber schriftlich erklärt hat,
zugleich das Versprechen, daß er nichts tun und nichts unterstützen werde,
was darauf gerichtet sei, den derzeitigen Besitzstand Preußens zu verändern.
An dieses Versprechen erachtet er sich für immer gebunden, da es eine
Verpflichtung enthalte, die sich für einen deutschen Bundesfürsten von
selbst ergebe.
Unter diesen Umständen kann nicht mehr behauptet werden, daß
Seine Königliche Hoheit der Herzog von Cumberland und sein Haus sich
zu dem Bundesstaate Preußen in einem Verhälltnis befinden, das dem
reichsverfassungsmäßig gewährleisteten Frieden unter Bundesgliedern wider-
streite. Hiernach ist es aber auch ausgeschlossen, daß durch die Uebernahme
der Regierung Braunschweigs durch den Prinzen Ernst August die Welfen-
partei, die trotz aller dieser Ereignisse noch immer für das Haus des Her-
zogs von Cumberland Ansprüche auf Gebietslteile Preußens glaubt ver-
fechten zu müssen, eine mit dem inneren Frieden und der Sicherheit des
Reiches nicht verträgliche Unterstützung ihrer Bestrebungen erfahren würde.
Die Röniglich preußische Regierung ist daher der Ueberzeugung, daß die
Voraussetzungen, auf denen die Beichlüsse des Bundesrats beruhen, weg-
gejallen sind. Nachdem die Herzoglich braunichweigische Regierung am
11. Oktober 1913 eine Nachprüfung der Angelegenheit angeregt hat, er-
achtet die Königlich preußische Regierung, die zu dem Beschlusse des
Bundesrats vom 2. Juli 1K85 die Veranlassung gegeben hat, es für ihre
Pflicht, den Bundesrat von dieser ihrer Ueberzeugung in Renntnis zu
setzen und den Antrag zu stellen:
Der Bundesrat wolle beschließen:
1. die Ueberzeugung der verbündeten Regierungen dahin auszusprechen,
daß die Regierung Seiner Königlichen Hoheit des Prinzen Ernst August,
Herzogs zu Braunschweig und Lüneburg. in Braunschweig im Oin-
blick auf die inzwischen eingetretene Veränderung der Sach-= und Rechts-
lage mit den Grundprinzipien der Bündnisverträge und der Reichs-
verfassung vereinbar sein wurde:
2. die braunschweigische Landesregierung hiervon zu verständigen.
von Bethmann Hollweg.“
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