Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunundzwanzigster Jahrgang. 1913. (54)

344 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Oktober 30.) 
änderung unserem Volke und seinem Herrscherhause zum dauernden Segen 
gereichen möge! (Beifall i. Z.) 
Abg. Dr. Casselmann (lib.): Ich habe namens meiner politischen 
Freunde zu erklären, daß wir der Vorlage zustimmen werden. Wir haben 
uns dazu entschlossen, obwohl wir zu dem Ministerium, das die Vorlage 
eingebracht hat, wie auch zu der Mehrheitspartei dieses Hauses, die sich 
jetzt zu der Auffassung der Vorlage bekannt hat, in schärfstem parteipoli- 
tischen Kampfe stehen. Es ist heute nicht der geeignete Moment, um diese 
Gegensätze weiter zu verfolgen; dazu wird sich an anderer Stelle Gelegen- 
heit bieten. Wenn wir darauf verzichten, bei unserem Entschluß partei- 
politischen Erwägungen Raum zu geben, so geschieht es, weil wir bei einer 
Frage von so tief einschneidender Bedeutung uns lediglich von dem In- 
teresse des Landes leiten lassen dürfen. Dieses Interesse aber fordert eine 
Beseitigung des jetzigen unnatürlichen Zustandes, der auf die politische Ent- 
wicklung nach manchen Richtungen hemmend wirkt. In dieser Auffassung 
kann uns auch nicht die Erwägung irre machen, daß die Beendigung der 
Regentschaft in Anwendung der Vorschriften der Verfassung mit einem 
finanziellen Mehraufwand für das Land verbunden ist. Wir haben uns 
von Anfang an auf den Standpunkt gestellt, daß erstens eine Beendigung 
der Regentschaft nicht möglich ist durch einen einseitigen Akt des Regenten, 
daß sie nicht auf dem Wege der Proklamation, sondern nur durch eine 
Aenderung der Verfassung zu erfolgen hat. Wir haben zweitens, was den 
Inhalt der neuen Verfassungsbestimmung anlangt, gefordert, daß für die 
Beendigung der Regentschaft die Mitwirkung des Landtags in demselben 
Maße gewährt werde wie für deren Einsetzung. Die Vorlage der Regierung 
erfüllt die erste dieser Forderungen vollkommen. Was aber unsere zweite 
Forderung anlangt, so ist im zweiten Satz des vorgeschlagenen neuen Ab- 
satzes des § 21 Titel 2 der Verfassungsurkunde bestimmt, daß die Gründe, 
aus denen sich die dauernde Regierungsunfähigkeit ergibt, dem Landtag 
zur Zustimmung anzuzeigen sind. Ich will nicht darauf eingehen, daß die 
Fassung dieser Vorschrift sprachlich nicht ganz einwandfrei ist; die Fassung 
ist auch sachlich nicht zweifelsfrei. Sie läßt den Zweifel offen, ob der Land- 
tag berechtigt ist, seine Zustimmung zu verweigern, und sie gibt auch keinen 
Aufschluß über die rechtlichen Folgen, welche eine solche Verweigerung der 
Zustimmung hätte. Der Begründung dürfte allerdings, was den zuerst be- 
tonten Zweifel anlangt, zu entnehmen sein, daß der Landtag auch beschließen 
kann, seine Zustimmung zu verweigern. Dagegen enthält über die zweite 
Zweifelsfrage, nämlich über die Frage, welche rechtlichen Folgen es hat, 
wenn der Landtag seine Zustimmung verweigert, die Begründung nichts. 
Wir nehmen aber als ganz selbstverständlich an, daß, da die neue Vorschrift 
sich an den § 11 des Verfassungstitels anschließt, sie auch in gleicher Weise 
wie dieser Verfassungstitel auszulegen ist. Nach Sendel, dem sich auch 
Piloty in der neuesten Auflage des Staatsrechtes von Seydel anschließt, ist 
die Rechtswirksamkeit der Einsetzung der Regentschaft von der Entscheidung 
des Landtages abhängig. Den Anschluß halten wir für ganz zweifellos. 
Dann muß dasselbe aber auch von der Beendigung der Regentschaft gelten. 
Es wird deshalb auch der Entwurf von uns dahin verstanden: Die Er- 
klärung der Beendigung der Regentschaft wird dadurch bedingt, daß der 
Landtag anerkenne, daß die Voraussetzungen vorliegen, unter denen der 
Regent die Regentschaft für beendigt erklären konnte. Ich bitte die Staats- 
regierung um Aeußerungen darüber, daß die im Entwurf vorgeschlagene 
Vorschrift in der gleichen Weise auszulegen ist wie die des § 11. 
Wir haben geglaubt, über die angedeuteten Mängel, welche der Fas- 
sung des Entwurfes anhaften, hinwegsehen zu können, da der tatsächliche
	        
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