Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Oktober 30.) 345
Unterschied gegenüber einer Fassung, die wir vorgeschlagen hätten, nicht so
erheblich ist, wie er nach dem formalen Unterschied zunächst erscheinen
könnte. Tatsächlich wird ja auch der Regent, ehe er sich entschließt, die
Regentschaft für beendet zu erklären, sich durch Vermittlung des Mini-
steriums der Zustimmung des Landtages versichern müssen, da er sich un-
möglich einer nachträglichen Ablehnung aussetzen kann. Auf der anderen
Seite aber wird auch der Landtag, wenn ihm zwingende Gründe für die
Beendigung der Regentschaft vorgelegt werden, die Zustimmung nicht ver-
weigern. Meine Freunde sehen also die Forderungen, die wir bezüglich
des Mitwirkungsrechtes des Landtages gestellt haben, als in der Hauptsache
tatsächlich erfüllt an und verzichten deshalb auch auf Abänderungsanträge.
Dabei kann ich aber nicht umhin, namens meiner Freunde unserer Ver-
wunderung Ausdruck zu geben, daß die Begründung der Vorlage das Mit-
wirkungsrecht des Landtages durch die Hervorhebung des „Gottesgnaden-
tums“ in so auffallender Weise in den Schatten stellt. Man hätte das
bei aller Rücksichtnahme auf die legitimistischen Kreise denn doch ver-
meiden sollen! Monarchische Gesinnung — das mögen sich diese Kreise
und auch die Regierung gesagt sein lassen — ist nicht gleichbedeutend
mit der Anerkennung des Gottesgnadentums. Für dieses letztere wird
man in breiten Kreisen des Volkes, die treu zu ihrem Herrscher stehen,
wenig Verständnis finden, um so weniger, als doch nicht zu bestreiten ist,
daß aus einer populären Bewegung heraus der Anstoß zu der jetzigen
gesetzgeberischen Aktion gekommen und die Beseitigung der Hindernisse
erfolgt ist! Wenn wir der Vorlage zustimmen, sind wir uns der großen
Verantwortung voll bewußt, die wir damit auf uns nehmen. Möge die
Entscheidung des Hauses dem Vaterlande zum Segen gereichen! (Lebhafter
Beifall b. d. L.)
Abg. Beckh (F. V.) erklärt im Namen seiner Freunde seine Zu-
stimmung zu dem vorliegenden Gesetzentwurf, der dem bayerischen Volk
wieder einen regierungsfähigen König gebe, der ihm in guten und bösen
Tagen ein Berater sei.
Abg. Lutz (Bayr. Bbd.) erklärt namens seiner Parteifreunde eben-
falls die Zustimmung zur Regierungsvorlage. Wir sind der Meinung, daß
juristische und staatsrechtliche Bedenken vor den genannten gewichtigen
Interessen von Krone und Land zurückzutreten haben.
Ministerpräsident Frhr. v. Hertling: Wie der Abg. Dr. Casselmann
mit Recht hervorhebt, schließt sich der Wortlaut des Artikels 21 Absatz 2
in der Fassung der Regierungsvorlage an den Wortlaut der Bestimmung
der Verfassung an, die von der Einsetzung der Regentschaft handelt. Aus
dieser Anlehnung ergibt sich bereits die Auslegung. Wenn der Absatz 2
vorsieht, es seien dem Landtag die Gründe anzugeben, die für die Zu-
stimmung zur Aufhebung der Regentschaft maßgebend sind, so kann über
den Sinn dieser Vorschrift kein Zweifel bestehen: Wer gefragt wird, ob
er zustimmt, der muß nicht zustimmen; wer gefragt wird, ob er zu-
stimmt, kann „ja“ und „nein“ sagen. Ich glaube, daß die weitere Ver-
folgung dieses Gedankens nur dem Gebiete der Theorie angehört. Keine
Regierung wird so blind und töricht sein, eine Vorlage an den Landtag
zu bringen, wenn die Gründe, die sie dazu hat, nicht so evident wären,
daß die Zustimmung nicht verweigert werden könnte. Sind aber die Gründe
der Regierung stichhaltig, dann wird sich kein Landtag finden, der in einem
solchen Falle die Zustimmung verweigert. Ich glaube auch, daß keine Re-
gierung so unvorsichtig sein wird, sich nicht vor der Einbringung einer
solchen Vorlage der Zustimmung der Majorität des Landtages im voraus
zu vergewissern.