Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunundzwanzigster Jahrgang. 1913. (54)

24 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 17.) 
hier im Lande wie die Bulachs. Von der Rede des Sozialdemokraten 
Scheidemann ist seinerzeit nicht der hundertste Teil des Aufhebens gemacht 
worden, wie es heute geschieht. Warum haben jene Ausführungen, die 
über die meinigen hinausgingen, nicht dieselben Wirkungen hervorgerufen? 
Ich muß es lebhaft bedauern, daß man jetzt über mich so herb urteilt, 
ohne daß man authentisches Material zur Hand hatte. Ich bin fest über- 
zeugt, daß ich in keiner Weise das Maß dessen überschritten habe, was ich 
sagen konnte und durfte. Ich nehme von alledem, was ich gesagt habe, 
kein einziges Wort zurück. Ueber die Zweckmäßigkeit meiner Reden konnten 
meine Freunde hier allerdings ein Urteil aussprechen, die volle Verant- 
wortung dafür aber übernehme ich. Ich möchte bitten, mich nicht miß- 
zuverstehen. Meine heutigen Erklärungen sollen in keiner Weise eine 
Entschuldigung sein. Meine Vorträge in Frankreich waren die Folge von 
Verpflichtungen, die ich schon seit Monaten eingegangen war. Ich habe 
seinerzeit die strenge Bedingung gestellt, daß für meine Vorträge keinerlei 
Reklame gemacht werden dürfe. Wenn diese Bedingungen hie und da 
nicht eingehalten worden sind, dann trifft mich daran keine Schuld. Ich 
hatte noch mehr als 30 weitere Einladungen erhalten, bevor ich meinen 
ersten Vortrag hielt, ich habe sie aber zurückgewiesen. Nicht aus Angst 
vor Unannehmlichkeiten habe ich meine Vortragsreise unterbrochen, sondern 
1. weil ich keine Zeit hatte, 2. weil ich den Anschein vermeiden wollte, 
als habe ich den elsässischen Partikularismus allein in Erbpacht genommen; 
es sollen andere auch arbeiten und es werden andere arbeiten.“ 
                17. Januar. (Württemberg.) Programmrede des Minister- 
präsidenten v. Weizsäcker. 
Die in der Thronrede angekündigten Vorlagen haben den Beifall der 
beiden Fraktionsredner gefunden. Die Wegordnung darf nicht wieder ver- 
schleppt werden. Die Wünsche der öffentlichen Beamten werden diesmal 
sich bescheiden müssen. Was die Besserung des Wahlrechtes anlangt, 
so trägt die Regierung Bedenken, nach so kurzer Zeit wiederum die Klinke 
der Gesetzgebung in die Hand zu nehmen. (Zustimmung.) Zur Zeit be- 
finden wir uns in den Anfängen der Praxis. Nicht jeder unerfüllte Partei- 
wunsch sollte sich zu legislatorischen Anregungen verdichten. Die Regierung 
beurteilt die wirtschaftliche Lage weniger pessimistisch, es muß allerdings 
stets überlegt werden, ob sich das nötige Geld auch findet, wenn legis- 
latorische Versprechungen gegeben werden. Wir zählen auf das Haus, daß 
es die Regierung bei der Vereinfachung der Staatsverwaltung 
unterstützt, die ein dauernder und wichtiger Programmpunkt der Regierung 
ist. (Beifall.) Eine Denkschrift über die Ausscheidung der Kirchengüter 
wird vorbereitet. Was die rechtlichen Folgen einer etwaigen Aufhebung 
des Reichsjesuitengesetzes für Württemberg anlangt, so bin ich stets 
der Ansicht gewesen, daß im Falle der Aufhebung des Reichsjesuiten- 
gesetzes die Vorschriften des Landesgesetzes vom 3. Januar 1862 der Ein- 
führung des Jesuitenordens in Württemberg entgegenstehen würden. Das 
Landesrecht ist nun gegenstandslos geworden und müßte mit der Aufhebung 
des Reichsgesetzes wieder in Kraft treten. Ich bin nicht in der Lage zu 
sagen, wie die neue Besitzsteuer aussieht. Ich habe sie selbst noch nicht 
gesehen. Der Finanzminister auch nicht. Ich möchte mich nicht eines 
vorzeitigen und unerlaubten Hebammendienstes schuldig machen. Ich bin 
auch nicht in der Lage, mich über eine neue Wehrvorlage auszusprechen, 
denn darüber ist der württembergischen Regierung nichts zugegangen. 
Eine Beunruhigung des Auslandes ist mir auch nicht bekannt. Im übrigen 
wird Deutschland, dessen Friedfertigkeit allmählich selbst von den Uebel- 
 
	        
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