Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Dezember 3.) 385
vor? Ungehörigkeiten eines jungen Offiziers, begangen in den Wänden der
Kaserne. Unerfreulich, aber doch nicht weltbewegend. Mit der verhältnis-
mäßig geringen Bedeutung dieses Anfanges der Dinge steht die spätere
Entwicklung in keinerlei Verhältnis. Bezeichnend, m. H., ist es, daß der
Matin unter den ersten gewesen ist, der die Sache in seinem Sinn ver-
wertet hat. Durch Artikel in der Lokalpresse ist dann die Erregung in
Zabern und über Zabern hinaus weiter geschürt worden.
Die elsässische Bevölkerung hat sich durch den Gebrauch des Wortes
„Wackes"“ beleidigt gefühlt. Man hat dabei von einem gewollten öffentlichen
Affront der Bevölkerung gesprochen. Davon kann ja selbstverständlich nach
all den Umständen, die ich angegeben habe, unter denen das Wort gebraucht
worden ist, keine Rede sein. Aber schließlich: das Wort ist bekannt ge-
worden, die Presse hat lange Erörterungen über die Bedeutung des Wortes
angestellt. Ich bin bemüht gewesen, mich bei Elsässern selbst über die Sache
zu informieren. Danach scheint mir die Sache doch folgendermaßen zu
liegen: Das Wort „Wackes“ wird bald gebraucht für die Bezeichnung eines
Herumtreibers, eines nichtsnutzigen Menschen, bald gilt es als ein Spitz-
name für den Elsässer — ich will Ihnen meinen Zeugen angeben, es
ist der Abg. Dr. v. Calker. (Zuruf: Das ist doch kein Elsässer! Große
Heiterkeit.) M. H., bezähmen Sie vielleicht Ihre Heiterkeit etwas, dann
kommen wir schneller vorwärts. Mir ist das also mitgeteilt worden, ich
ziehe aber daraus weiter keine Folgerungen. Wenn Sie mich ausreden
lassen wollen, dann werden wir in dieser Beziehung vollkommen einig sein.
Mir ist also mitgeteilt worden, es würde auch als Spitzwort gebraucht,
und zwar könnte der Elsässer selbst in gutmütigem Sinne das Spitzwort
anz unbeschadet seinen Landsleuten gegenüber gebrauchen, aber verletzt
fahrt. er sich, sobald das Wort in dem Munde eines Nichtelsässers ertönt.
Ich glaube, daß das richtig ist. Der Nichtelsässer darf es nicht brauchen
gegenüber dem Elsässer, der fühlt sich dann beleidigt und glaubt, er solle
verletzt werden. (Widerspruch und lebhafte Zurufe. Glocke des Präsidenten.)
Ja, m. H., ich bitte doch, mich ausreden zu lassen. Ich halte es auch
für vollkommen müßig, darüber zu streiten, ob der Elsässer eine Berech-
tigung zu dem Argwohn hat, daß er mit dem Wort beleidigt werden soll;
tatsächlich fühlt er sich beleidigt. Wie heute auch schon in der Debatte
angezogen worden ist, ist früher an einzelnen Stellen, auch militärischen,
der Gebrauch des Wortes „Wackes" ausdrücklich untersagt worden, und ich
kann in Uebereinstimmung mit dem Kriegsminister die Erwartung aus-
sprechen, daß nach den jetzigen Vorkommnissen und Erfahrungen das Wort
in Zukunft bei den Truppenteilen zur Bezeichnung des Elsässers nicht mehr
gebraucht werden wird. Die Herren Elsässer waren ja, als ich hier über
das Wort Wackes sprach, schon sehr empfindlich; ich glaube, ich trete den
Herren doch wirklich nicht zu nahe, wenn ich meine, die Elsässer sollten
doch auch nicht empfindlicher sein als andere Stämme unseres Volkes. Der
Elsässer nennt, wenn er von dem Deutschen spricht, ihn mit Vorliebe einen
„Schwaben“. Ich kann den elsässischen Dialekt leider nicht nachmachen,
da klingt es noch etwas bezeichnender. (Abg. Ledebour: Schämen Sie sich
nicht, in so ernster Sache solchen Kohl vorzubringen?! — Großer Lärm. —
Der Präsident ruft den Abg. Ledebour wegen dieser beleidigenden Aeuße-
rung zur Ordnung.) Es ist mir zweifelhaft, ob der Elsässer allemal sehr
freundlich gesinnt ist, wenn er von dem Deutschen als von einem „Schwob“
spricht. Aber die Altdeutschen regen sich darüber nicht auf, ebensowenig
wie wir Preußen uns aufregen, wenn uns etwa in Bayern oder in Sachsen
in besserer oder in schlechterer Laune mit der Bezeichnung „Preuße“ vor-
gehalten wird, daß wir eben Preußen und keine Bayern oder Sachsen sind.
Europäischer Geschichtskalender. LIV. 25