Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunundzwanzigster Jahrgang. 1913. (54)

390 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Dezember 3.) 
die Beurteilung und die Bewertung der Vorgänge in Zabern am letzten 
Freitag. Man hat auch hier — und das ist wohl das letzte, was ich zu 
erwähnen brauche — von einem hohen General als einem Typus einer 
übermütigen Soldateska gesprochen. M. H., im Reichstage sind schon mehr 
Leute (Zwischenruf: entgleist! — große Heiterkeit) — jawohl, entgleist. Also 
es sind schon mehr Leute hier entgleist als meine Wenigkeit oder der un- 
glückliche junge Offizier in Zabern oder der Herr General v. Deimling. 
Es ist auch schon anderen, auch Parlamentariern passiert, zu denen ich den 
General nicht rechne. Ich meine, das sollten Sie ihm nach sieben Jahren 
nicht so hoch anrechnen. (Zwischenruf links: Er ist ja noch genau so wie 
damals!) — Das ist ja gerade das Beste an ihm! (Stürmische Heiterkeit! — 
Lebhaftes Bravo rechts.) 
         Abg. Fehrenbach (Z.): Das Unzulängliche, hier wird's Ereignis. 
Das Unbegreifliche, hier wird's getan. Das war unser Empfinden bei den 
eben gehörten Ausführungen. Das Gefühl der Beschämung ist über uns 
gekommen. Dazu gesellt sich der bittere Schmerz über die moralischen Ver- 
luste dieses Unglücksmonats. Wir wollen an unserem Teil heilend auf die 
Schäden wirken und hatten, wie ich namens meiner Partei erkläre, die Er- 
wartung, daß die Reden des Kanzlers und des RKriegeministers uns vor- 
arbeiten würden. Diese Erwartung ist nicht erfüllt. Was heute hier vor- 
getragen wurde, klingt wie aus einer anderen Welt. Es wurde nichts ge- 
sagt, wie Abhilfe erfolgen soll. Hoffentlich war der Ton des Kriegsministers 
nicht die Resonanz von Unterredungen, die kurz vorher stattgefunden haben, 
sonst wäre der heutige Tag ein düsterer für das Deutsche Reich. Es wird 
mir keiner im Hause, der mich kennt, und es wird auch meiner Partei nie- 
mand nachsagen, der sie kennt, daß uns und mir das Gefühl für die Autorität 
abgeht, daß wir nicht in eine volle Würdigung der Bedeutung und Macht- 
stellung auch unseres Militärs einzutreten befähigt sind. Aber was heute 
hier vorgetragen worden ist, das klingt aus einer anderen Welt (stürmische 
Zustimmung im Zentrum und links), das ist so schmerzhaft, da gibt es gar 
keine Uebertreibung mehr. (Wiederholte stürmische Zustimmung im Zentrum 
und links.) M. H., das Recht geht voran, und wenn der Herr Reichskanzler 
gesagt hat: Schützen des Rechts, aber auch Schützen der öffentlichen Ge- 
walt, dann sage ich: das zarteste Pflänzchen, das hier des meisten Schutzes 
bedarf, ist Recht und Gesetz, und wenn Recht und Gesetz beeinträchtigt 
werden durch irgendwen, auch durch eine öffentliche Gewalt, dann sind die 
hiesigen Stellen berufen, hier Remedur eintreten zu lassen (stürmische 
Zustimmung im Zentrum, links und bei den Sozialdemokraten) und für 
das geschwächte Recht ein mächtiges Wort auszusprechen. M. H., wir haben 
ja einige bedauernde Aeußerungen gehört über das, was sich von seiten 
des Militärs in Zabern zugetragen hat. Aber haben wir irgend etwas 
gehört, was dagegen getan wird, wie für das gebengte Recht Sühne ge- 
schaffen wird? Wir haben darüber nichts gehört, wir haben Ausführungen 
von seiten des Herrn Reichskanzlers, die sich im wesentlichen — ich werde 
vielleicht darauf noch in einem anderen Zusammenhange kommen — auf 
die Berichte der Militärs gestützt haben. Wir haben Darlegungen gehört, 
die, wie mir scheint, wenn auch nicht direkt ausgesprochen, die Pflicht und 
die Tätigkeit der Zivilverwaltung in das bedenklichste Licht setzen. Und, 
m. H., was wir von dem Herrn Kriegsminister gehört haben — wenn nur 
dieser Mut, dieser unnötige Mut, diese unnötige Forschheit und Schneid 
nicht in die Herzen all der jungen Leutnants einzieht gegen unsere Zivil- 
bevölkerung, sonst wird es unheimlich. Wenn ich das Wort gehört habe 
— ich glaube es fast nicht, daß es gefallen ist — von dem Säbel, der einen 
anderen durchstechen soll stürmische Zurufe: Jawohl, es ist gesagt worden!) —
	        
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