Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunundzwanzigster Jahrgang. 1913. (54)

392 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Dezember 3.) 
sultat? Ein hinkender Schuster bekommt einen Säbelhieb von einem Leut- 
nant, und das ist das einzige Blut, das da geflossen ist. (Zuruf von den. 
Sd.: Das ist die Tapferkeit dieses Helden!) — Ich will von der Tapfer- 
keit nicht reden; ich nehme an, daß der Leutnant, wenn er sich jetzt nach- 
träglich den Fall überlegt, wenn er nicht durch den Geist, der hier herrscht, 
zu einer anderen Meinung getrieben wird, sich sagt: das war keine Helden- 
tat, und es ist schade, daß mein Säbel das Blut hat vergießen lassen. 
Das ist der eine Abschluß. Und der andere Abschluß ist der, daß der 
Leutnant mit einer bewaffneten Patrouille von vier bis sechs Mann mit 
aufgepflanztem Seitengewehr durch die Straße geht und diese Patrouille 
dazu benutzt — ja, m. H., haben denn die Herren vom Militär dafür kein 
Verständnis, daß dazu die Patrouillen nicht da sind? — dazu benutzt, um 
igaretten zu kaufen, um Kakao zu trinken. Es ist unbegreiflich! Ich 
abe keinen anderen Ausdruck dafür. (Zuruf bei den Sd.: Und das wird 
hier noch verteidigt! Von einem Kriegsminister!) Das ist nun jetzt die 
reine Donquichotterie und nichts anderes. Wie kommt jetzt unsere Regie- 
rung aus dieser Situation heraus, in die sie mit Aufwendung von ganz 
geringen Mitteln nie hineingekommen wäre? Der Grundfehler — und 
deshalb habe ich so lange bei der Wackesgeschichte verweilt: jetzt werden 
Sie es begreifen — liegt darin, daß der Oberst v. Reuter nicht die Ein- 
sicht hatte, daß dem verletzten Ehrgefühl des ganzen Elsässer Stammes nur 
dadurch die nötige Sühne zuteil werde, wenn der Leutnant v. Forstner 
sofort aus Zabern verschwinde. Der Oberst hätte die Möglichkeit des Ur- 
laubs gehabt. — Ich verlange gar nicht mehr; für den ersten Teil der 
Sache haben wir noch keine Anschuldigung gegen den Oberst zu erheben. 
Gegen den Oberst kommt es erst später. Ich rede jetzt vom ersten Teil, 
ich will das gerecht abzuwägen suchen. Der Oberst hätte auch nicht mehr 
machen können, als dem Leutnant vierzehn Tage Urlaub zu geben. In 
der Zwischenzeit hätte die Sache gemacht werden können und müssen, und 
demjenigen, der das heute noch nicht einsieht, spreche ich überhaupt die Ein- 
sicht ab. Jetzt ist es schwer, das gebe ich zu. Die Karre ist so unglaub- 
lich verfahren; aber es geht doch nicht anders: sie muß heraus. Das 
mögen sich die Herren auch gesagt sein lassen: die Entrüstung ist nicht be- 
schränkt auf den engen Kreis links des Rheins, am Oberrhein. Die Ent- 
rüstung macht sich geltend durch das ganze Deutsche Reich. Halten Sie 
sich, Herr Reichskanzler, für stark genug, dieser Entrüstung mit den Mit- 
teln Herr zu werden, die Sie bis jetzt versucht haben? Wir wollen hoffen, 
daß noch in letzter Stunde die verbündeten Regierungen aus diesen Vor- 
gängen und aus der Art der Besprechung dieser Vorgänge hier im Reichs- 
tage die genügende Lehre ziehen werden. Ich habe die Hoffnung, daß 
meine Nachfolger auf diesem Platze das Gewissen der Regierung in der 
gleichen Weise schärfen werden, wie ich es zu erforschen mich bemüht habe. 
Nur dann kann etwas Gutes für Elsaß-Lothringen und unser deutsches 
Vaterland herauskommen. (Wiederholter stürmischer Beifall und Hände- 
klatschen l. und im Z.) 
         Kriegsminister v. Falkenhayn: M. H., der Herr Abgeordnete 
Fehrenbach hat die Frage aufgeworfen, ob nach den gesetzlichen Bestim- 
mungen die Verfehlungen des Offiziers in Zabern mit einem Verweise ge- 
ahndet werden konnten. Das war nicht möglich, wie der Herr Abgeordnete 
auch schon bemerkt hat. Dieser Schluß ist richtig. Der Offizier ist ent- 
sprechend dem Gesetz bestraft worden. (Lebhafte Zurufe von den Sd.: Wie 
denn?) — M. H., ich kann sagen — und ich hoffe, daß Ihnen das ge- 
nügen wird —: er ist sehr schwer bestraft worden. (Erneute Zurufe von 
den Sd.: Also wie denn?) — M. H., ich bin nicht berechtigt, über diszipli-
	        
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