Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Dezember 4.) 397
was gefährdet wurde, nur auf der Grundlage von Gesetz und Recht.
(Beifall r., Zischen l.)
Präsident Dr. Kaempf teilt mit, daß über die beiden Anträge der
Fortschrittlichen Volkspartei und der Sozialdemokratie, der Reichstag möge
seine Mißbilligung aussprechen, auf Antrag namentlich abgestimmt werden
wird. Der Präsident teilt mit, daß auch ein Antrag der Sozialdemokratie
eingegangen ist, der ähnlich dem der Fortschrittlichen Volkspartei eine Miß-
billigung der Politik des Reichskanzlers ausspricht. Ueber beide Anträge
wird namentlich abgestimmt werden.
Abg. Rogalla v. Bieberstein (K.): Auf die Verfassungsfrage gehe
ich nicht ein. Auch wir wünschen, daß der Kontakt zwischen Militär= und
Zivilbehörden bald wieder eintreten wird. Der Reichskanzler hat mit der
größten Ruhe und Objektivität gesprochen. Wir verurteilen genau so wie
die anderen Parteien und der Reichskanzler die Aeußerungen des jungen
Offiziers. Herr Peirotes hat gestern die Elsässer verteidigt, aber er hat
ganze andere Landesteile aufs schwerste beleidigt. Ich protestiere aufs
schärfste dagegen, daß preußische Offiziere von dem Sprecher der Sozial-
demokraten hier als Hochverräter im Elsaß bezeichnet worden sind. Die
Rekruten haben den vorgeschriebenen Weg der Beschwerde nicht innegehalten.
Die Hetzartikel der Zeitungen sind in Zabern in Kästen angeschlagen worden.
Es wäre Pflicht der Zivilverwaltung gewesen, diese Kästen entfernen zu
lassen wegen der Aufgeregtheit des Volkes. Das ist nicht geschehen. Der
Oberst mußte einfach zur Selbsthilfe greifen, weil die Polizeigewalt in
Zabern gar nicht ausreichte. Der eine Polizist, der in der Wachtstube war,
hat auf eine Anfrage erklärt: Ich komme nicht. Der Kreisdirektor selbst
hat dem Militär mitgeteilt, daß am Abend neue Unruhen zu erwarten
seien und ersuchte um entsprechende Maßnahmen. Das kann doch nur
heißen, er bitte um die Hilfe des Militärs. Der Oberst hat den Offizieren
Patronillen beigegeben, um sie gegen den Volkspöbel zu schützen. Hätte
das Militär in Zabern sich ruhig beschimpfen und mit Schmutz bewerfen
lassen sollen? Man hätte es im Volke nicht verstanden, wenn das so ge-
wesen wäre. Ob das Militär in allen Fällen richtig und gesetzlich gehan-
delt hat, darüber schwebt noch die Untersuchung. Wir werden ihr Resultat
abwarten. Wenn die lokale Behörde rechtzeitig auf dem Posten gewesen
wäre, dann hätten diese Dinge nicht vorkommen können. Wir haben das
feste Bertrauen zur Militärbehörde, daß sie sich durch nichts abhalten lassen
wird, die Disziplin in der Armee aufrecht zu erhalten. Wir sind voll Ver-
trauen darauf, daß die Armee für die Reinhaltung ihrer Ehre stets und
unter allen Umständen eintreten wird. Sie wird das Volk in seiner großen
Mehrheit hinter sich haben und sie wird auch den besonnenen und an-
ständigen Teil hinter sich haben.
Abg. v. Trampczynski (P.): Die militärische Parole für die Be-
handlung der Affäre in Zabern scheint zu sein: „Nun erst recht! Wir werden
vor den Zeitungsschreibern nicht zurückweichen!“ Beim Militär kommt es
nicht darauf an, daß nicht Unrecht geschieht, sondern nur darauf, daß es
nicht an die große Glocke kommt. Der Kriegsminister versprach die Auf-
rechterhaltung der Disziplin. Er wies auf das Beschwerderecht der Soldaten
hin. Was bei Beschwerden oft herauskommt, wissen wir alle, die beim
Militär gewesen sind. Der Kriegsminister hat gesagt, der Fall von Zabern
stände Gott sei Dank vereinzelt da. Das Gegenteil ist richtig. Die Behand-
lung der polnischen Rekruten ist viel schlimmer als die der Elsässer. Man
will die Polen während des Militärdienstes mit Gewalt ihrem Volkstum
entfremden. Die Zeiten der gedankenlosen Disziplin sind vorüber.
Abg. Frhr. v. Gamp (Rp.): Es hätte zweifellos zur Beruhigung der