Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunundzwanzigster Jahrgang. 1913. (54)

Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Dezember 9.) 403 
ein Verkauf des russischen Fleisches zu einem nennenswert billigeren Preise 
nicht möglich ist. 
      9. Dezember. (Reichstag.) Anfragen über Rußlands Ab- 
kommen mit China und über englische Petroleumkonzessionen in der 
Türkei. Fortsetzung der ersten Beratung des Reichshaushaltsetats. 
Abg. Bassermann (Nl.) fragt: Kann der Herr Reichskanzler Aus- 
kunft geben, ob bei dem Abkommen zwischen Rußland und China vom 
      5. Norember 1913, durch das einerseits die Suzeränität Chinas über die 
äußere Mongolei, andererseits die Autonomie der letzteren anerkannt wurde, 
die dem Deutschen Reiche kraft Vertrages mit China von 1861 zustehende 
Meistbegünstigung gewährt ist? 
Staatssekretär v. Jagow: Der Inhalt der am 5. November dieses 
Jahres von Rußland und China gezeichneten Deklaration über die Mon- 
golei ist uns bekannt durch die Berichte unserer Vertreter in Petersburg 
und Peking. Danach erkennt China die Autonomie der Mongolei und das 
Recht an, Fragen auf dem Gebiete des Handels und der Industrie selbst 
zu regeln. Rußland andererseits erkennt die Suzeränität Chinas über die 
Mongolei an. Eine amtliche Notifikation des Abkommens ist uns bisher 
weder von der Regierung in Petersburg noch in Peking zugegangen. Da 
Deutschland auf Grund des Artikels 40 des deutsch-chinesischen Handels- 
vertrages vom 2. September 1861 das unbeschränkte Meistbegünstigungsrecht 
eingeräumt erhalten hat, so hat es auch Anspruch auf alle Privilegien, 
Freiheiten und Vorteile, die von China der Regierung oder den Angehörigen 
eines fremden Staates eingeräumt worden sind oder eingeräumt werden. 
Hiernach würde nach den bestehenden Grundsätzen unser Handelsvertrag 
mit China und somit auch die Meistbegünstigung auch auf die Mongolei 
dann weiter Anwendung finden, selbst wenn in dem russisch-chinesischen 
Abkommen die Suzeränität Chinas über die äußere Mongolei nicht an- 
erkannt wäre. Die kaiserliche Regierung hat überdies vor kurzem bereits 
Anlaß genommen, der russischen Regierung zum Ausdruck zu bringen, daß 
sie als Förderin des Prinzips der Gleichberechtigung für den Handel und die 
Stellung der Angehörigen aller Nationen in China zwar nicht in der Lage 
sei, allgemeine Sonderrechte einer anderen Macht in bestimmten Teilen des 
chinesischen Reiches einzuräumen, daß sie aber in Anbetracht der besonderen 
Lage Rußlands als Grenzstaat von China bereit ist, solche Rechte Ruß- 
lands anzuerkennen, die sich auf besondere Verträge und Abmachungen 
zwischen Rußland und der chinesischen Zentralregierung gründen, insoweit 
diese Verträge und Abmachungen uns amtlich mitgeteilt find und insoweit 
die aus ihnen hergeleiteten Rechte nicht dem Grundsatz der Gleichberechtigung 
widersprechen. (Bravo l.) 
Abg. Bassermann (Nl.) fragt an: Wie die Presse mitteilt, sollen 
englische Unternehmer in Arabien, Syrien und Mesopotamien bedeutende 
Petroleumkonzessionen von der Türkei erworben und sich verpflichtet haben, 
das gewonnene Rohöl an die englische Admiralität zu verkaufen, wobei 
beabsichtigt sein soll, den Wettbewerb anderer Länder in diesen Gebieten 
auszuschließen. Sind dem Herrn Reichskanzler diese Vorgänge bekannt? 
Was gedenkt der Herr Reichskanzler mit Rücksicht auf das große Interesse, 
das die deutsche Marine zukünftig an einer gesicherten Heizölzufuhr nach 
Deutschland haben wird, zu tun, um die Ausbeute von Petroleum, ins-- 
besondere in Gebieten, für deren Erschließung deutsches Kapital in erster 
Linie tätig ist, auch deutschen Unternehmern zu ermöglichen? 
Unterstaatssekretär v. Jagow: Die Pressemeldungen sind mir be- 
kannt. Die Meldungen sind aber nach meinen Informationen in dieser 
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