404 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Dezember 9.)
Form unzutreffend. Dagegen kann ich mitteilen, daß bereits seit längerer
Zeit zwischen einer deutschen und einer englischen Interessengruppe Ver-
handlungen mit der Türkei über Petroleuminteressen schweben. Darüber
kann ich noch nichts mitteilen. Das deutsche Interesse wird aber auf jeden
Fall gewahrt bleiben. Wir widmen der Sache unsere Aufmerksamkeit und
unterstützen alle Unternehmungen, die von Deutschland aus im Ausland
arbeiten wollen.
Bei der Fortsetzung der Debatte über den Reichshaushaltsetat ergreift
das Wort Reichskanzler v. Bethmann Hollweg: Die Vorgänge auf
dem Balkan haben auch während der *W1 Monate die deutsche auswärtige
Politik so stark beschäftigt, daß ich es für richtig halte, mich gleich zu An-
fang darüber auszusprechen. Zwischen meinen letzten Aeußerungen über die
orientalische Lage in diesem Hause und dem, was ich heute sagen möchte.
liegt der zweite Balkankrieg, der Vertrag von Bukarest und der Friedens-
schluß der Türkei mit ihren Gegnern im ersten Feldzuge. Damit sind die
Ereignisse aus dem Zustande der akuten Konfliktszeit herausgetreten, wenn-
gleich die Folgen der weltgeschichtlichen Umwälzung, deren Zeugen wir
waren, selbstverständlich noch nicht abgeschlossen sind. Die Festlegung der
albanischen Grenze im Norden und im Süden, die zeitweise Schwierigkeiten
bereitete, scheint ihrem rechtzeitigen Abschluß entgegenzugehen. Eine Frage,
die unsere speziellen Interessen besonders nahe berührt, bietet die infolge
der Zerstückelung einzelner Teile der europäischen Türkei notwendige Neu-
regelung der türkischen Staatsschuldverhältnisse. Die zu diesem Zwecke im
vorigen Sommer in Paris zusammengetretene Konferenz hat sich bei An-
bruch des zweiten Balkankrieges vertagen müssen. Wir sind bemüht, in der
Zeit bis zum Wiederzusammentritt dieser Konferenz durch Benehmen mit
anderen Grosßmächten, in letzter Zeit insonderheit mit Frankreich, die Grund-
lage für die demnächstige Lösung der Frage vorzubereiten. Ueber das Schick-
sal der Inseln ist, wie bekannt, noch nichts Endgültiges entschieden worden.
Mutmaßungen darüber, wie die Entscheidung ausfallen wird, kann ich nicht
anstellen, weil sie der Kognition der gesamten Großmächte zusteht. Ich
glaube aber annehmen zu können, daß sich ein befriedigender Ausweg finden
wird. In allen bisherigen Phasen der Balkankriege haben die Großmächte,
auch wenn ihre Interessen nicht überall die gleichen waren, schließlich doch
immer fest zusammengehalten, um das allen gemeinsame Endziel nicht zu
gefährden, und sie werden auch die noch ausstehenden Schwierigkeiten zu
überwinden wissen. Denn dieses Einvernehmen der Großmächte und die
Erkenntnis, daß die ruhige Gesamtlage zwischen den Großmächten durch
die Neuordnung der Balkanverhältnisse nicht erschüttert werden dürfte, ist
während der monatelangen mühevollen Arbeit, die geleistet worden ist, und
seitdem der erste Kanonenschuß auf dem Balkan abgefeuert wurde, nicht ge-
mindert, sondern gestärkt worden, und das Verdienst daran gebührt allen
Großmächten gemeinsam. Eine spätere Zeit wird vielleicht der anfänglich
vielfach zuerst scharf kritisierten Londoner Botschafterkonferenz noch einmal
Dank dafür wissen, daß sie weiter die solidarischen Interessen Europas zu
einigen und zusammenzufassen verstanden hat. Wir werden uns auch ferner
an der gemeinsamen Arbeit der Großmächte mit demselben Eifer beteiligen,
mit dem wir es seither getan haben. Wir haben dabei die speziellen Inter-
essen unserer Bundesgenossen Oesterreich-Ungarn und Italien energisch und
wirksam unterstützt und gleichzeitig durch Zusammenarbeiten mit England,
gestützt auf unsere freundschaftlichen Beziehungen zu Rußland, den euro-
päischen Großmächten unsere Dienste geleistet, eine Aufgabe, die uns durch
unser erfreulicherweise durchaus korrektes Verhältnis zu Frankreich erleichtert
wurde. Als der Bukarester Friede geschlossen wurde, gingen die Meinungen