Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunundzwanzigster Jahrgang. 1913. (54)

28 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 22.) 
und der weiteren Ausdehnung des Fideikommißbesitzes. — Eine größere 
Anzahl meist sozialdemokratischer und polnischer Resolutionen über Arbeiter- 
schutzbestimmungen in verschiedenen Gewerbebetrieben wurde abgelehnt. Zu 
einer Auszählung führt eine polnische Resolution, die mit Rücksicht auf die 
häufig wiederkehrende Dürre Beihilfen an solche Private verlangt, welche 
Proben und Versuche mit künstlicher Bewässerung (künstlichem Regen) an- 
stellen. Diese Resolution wurde mit 171 gegen 153 Stimmen angenommen. 
Im ganzen wurden so 54 Resolutionen aus dem Vorjahre erledigt. 
Dann kam man zu Resolutionen zu dem  diesjährigen Etat. 
Abgelehnt wurden eine antisemitische Resolution, die ein Verbot der Ver- 
wendung nichtdeutscher Geschäftsbezeichnungen im Deutschen Reiche verlangt, 
ferner eine Resolution, die die Errichtung eines Reichsamtes für deutsche 
Sprache fordert, sowie eine Resolution, die das Verbot der gewerblichen 
Schaustellung von Angehörigen fremder Rassen durchweg fordert. An- 
genommen wurde die antisemitische Resolution auf Vorlegung eines Gesetz- 
entwurfes gegen die Naturverschandelung namentlich durch Plakate und 
Bretterreklamen. Von der Mittelstandsresolution der Antisemiten, über die 
getrennt nach Absätzen abgestimmt wurde, wurden angenommen die Absätze, 
die die Vorlegung von Gesetzentwürfen fordern zur Heranziehung der Fabrik- 
betriebe zu den Kosten der Lehrlingsausbildung, zur besseren Wahrung der 
Forderungen des Handwerks in der Konkursordnung, zur Errichtung eines 
Reichsamts zur Beaufsichtigung der Syndikate, Kartelle und ähnlicher Ver- 
einigungen, auf Verbot von Wanderlagern, auf Bekämpfung des versteckten 
Warenhandels, auf Verschärfung des Gesetzes über Abzahlungsgeschäfte, auf 
Regelung des Submissionswesens bei Arbeiten für den Reichsbedarf möglichst 
nach dem Grundsatze des angemessenen Preises, auf Beschränkung der 
Handwerksarbeiten in Militärwerkstätten, Einschränkung der Gefängnis- 
arbeit und Fernhaltung ausländischer Hausierer. Abgelehnt wurden in 
dieser Resolution die Absätze, die die Vorlegung von Gesetzentwürfen ver- 
langen zum Zwecke der Ausdehnung des gewerblichen Befähigungsnach- 
weises, auf Abänderung des § 1 der Gewerbeordnung in der Richtung, daß 
in der Regel nur volljährigen Personen die Ausübung eines Gewerbes zu 
gestatten ist, auf Aufhebung des § 100q der Gewerbeordnung, auf Ver- 
schärfung des Gesetzes zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbes und 
auf Einführung einer staffelförmigen Großmühlenumsatzsteuer. Ueber die 
konservative Resolution auf Verbot des Streikpostenstehens wurde 
namentlich abgestimmt. Bei den 339 abgegebenen Stimmen gab es. 
Stimmenthaltungen, 52 Stimmen wurden für und 282 gegen die Resolution 
abgegeben, die damit abgelehnt ist. 
Als Zuschuß des Reiches zu den auf Grund der Reichsversiche- 
rungsordnung zu leistenden Ausgaben sind 57 120 000 Mark im Etat 
vorgesehen. Die Budgetkommission hat zu diesem Titel eine Resolution 
beschlossen, die verbündeten Regierungen zu ersuchen, neue Berechnungen 
über die Belastung des Reiches und der Versicherten aus der Hinter- 
bliebenenversicherung aufstellen zu lassen. 
         22. Januar. Ankündigung der Bemühungen um eine Familien- 
verbindung der Häuser Welf und Hohenzollern. 
Die „Kölnische Volkszeitung“ meldet aus Berlin, in süddeutschen 
Hofkreisen rechne man mit einem demnächst erfolgenden entscheidenden Schritt 
zur völligen Aussöhnung zwischen dem Welfen-- und dem Hohenzollernhause. 
Der Schwiegersohn des Herzogs von Cumberland, Prinz Max von Baden, 
sei nach längerem Aufenthalt im Schlosse zu Gmunden zum Besuch des 
Kaisers nach Potsdam gefahren.
	        
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