422 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Dezember 10.)
eine wohlgeordnete Form des gerichtlichen Verfahrens stellen. Ich werfe
weiter die Frage auf: m. H., die Sie diesen Beschluß gefaßt haben, haben
Sie überhaupt noch das Bewußtsein davon, daß man in schwebende An-
gelegenheiten nicht eingreifen soll? Haben denn nicht die Offiziere auch
einen Anspruch auf ein unabhängiges gerichtliches Verfahren, das aus dem
Inbegriff der gesamten Verhandlungen sein Urteil schöpft? Wünschen Sie
denn, daß der Reichskanzler und die vorgesetzten Behörden und der Reichstag
hier den Gerichten Direktiven geben, wie sie urteilen sollen? Das wider-
spricht doch fundamental demjenigen, was wir alle hinsichtlich der Unab-
hängigkeit und der Durchführung des gerichtlichen Verfahrens wollen und
wünschen, daß es aufrechterhalten werde, — widerspricht allen Grund-
anschauungen über diese Dinge.
Staatssekretär des Reichsschatzamts Kühn: M. H., ich bitte, mir
eine kurze Bemerkung pro domo zu gestatten, nämlich zur Verteidigung
der von dem Vorredner angefochtenen Aufstellung des Etats. Der Vor-
redner hat nach zwei Richtungen hin Vorwürfe erhoben. Er hat einmal
gemeint, bei der Veranschlagung der Einnahmen wäre nicht mit der sonst
üblichen Vorsicht verfahren worden, und er hat namentlich darauf hin-
gewiesen, daß man bei der Schätzung der Zölle nicht unter den Durchschnitt
der vorhergehenden Jahre heruntergegangen sei, wie dies bisher regelmäßig
geschehen sei. Die letztere Annahme ist an sich nicht ganz richtig. Der
Ansatz in unserer Schätzung richtet sich nach den jeweiligen Umständen.
Im Jahre 1912 z. B. ist der eingesetzte Betrag höher als der Durchschnitt
der vorhergehenden Jahre. Für das Jahr 1913 ist lediglich wegen der
eigenartigen Verhältnisse des Jahres 1911 und der Einwirkung dieser Ver-
hältnisse auf die folgenden Jahre ein Betrag von 20 Millionen Mark in
Abzug gebracht, für das Jahr 1914 noch ein Betrag von 18 Millionen
Mark, also eine Summe in fast derselben Höhe, obwohl es doch auf der
Hand liegt, daß das Jahr 1911 auf die Durchschnittsberechnung um so
weniger einwirkt, je weiter wir uns von diesem Jahre entfernen. Der
Vorredner hat dann aber auch einen Vorwurf erhoben, der bedeutsamer,
weil grundsätzlicher Natur, ist. Er hat es für unrichtig erklärt, für die
fortlaufenden Ausgaben Beträge aus dem Wehrbeitrag in unsere Ein-
nahmen einzustellen. Ich könnte dem Einwande einfach damit begegnen,
daß ich auf das Gesetz verweise. Gegen die gesetzlichen Vorschriften können
wir nicht handeln. Aber ich glaube auch, darlegen zu können, daß das
Gesetz das Richtige getroffen hat. Schon früher ist von mir wiederholt
hervorgehoben worden, daß eine an sich fortlaufende Ausgabe in dem hier
in Rede stehenden Sinne als einmalig behandelt werden kann, wenn sie
nur vorübergehend in den fortlaufenden Einnahmen keine Deckung findet.
Insofern sind wir wohl berechtigt, in den Jahren 1913—1916 denienigen
Teil der fortlaufenden Ausgaben als einmalig zu behandeln, für welchen
von 1917 ab eine besondere Steuer zur Deckung eingeführt wird. Ich
gehe aber noch weiter. Es ist das Eigentümliche einer Vermögenszuwachs-
steuer, daß sie nicht erstmalig als solche erhoben werden kann. Um am
Schlusse eines Veranlagungszeitraums den Zuwachs zu einer Substanz fest-
stellen und besteuern zu können, muß man zu Beginn dieses Zeitraums
die Substanz selbst feststellen und, um eine ziemlich zuverlässige Feststellung
zu sichern, besteuern. Eine Vermögens zuwachssteuer muß also in der ersten
Periode ihrer Erhebung eine Vermögenssteuer sein, und Wehrbeitrag und
Zuwachssteuer hängen dementsprechend eng miteinander zusammen. Der
Wehrbeitrag hatte dabei zwei Funktionen zu erfüllen: er hatte einmal die
Mittel zu liefern für die einmaligen Ausgaben der Heeresvorlage, er hatte
dann aber auch die erste Rate der Besitzsteuer zu bilden. Wir sind also