Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Dezember 10.) 423
durchaus auf dem richtigen Wege, wenn wir den Ertrag, soweit er über
die Summe der einmaligen Ausgaben hinausgeht, für die fortlaufenden
Ausgaben der Jahre 1913—1916 bestimmen. In einer Beziehung kann
ich dem Vorredner ohne weiteres beipflichten, nämlich wenn er dem Wunsche
und der Ueberzeugung Ausdruck gab, daß der Wehrbeitrag keine dauernde
Einrichtung werden dürfe. Die Auffassung des Vorredners deckt sich in
dieser Richtung durchaus mit der Auffassung der verbündeten Regierungen.
Abg. Dr. Wiemer (Fortschr. Vp.): M. H., ich knüpfe an an die Aus-
führungen des Grafen v. Westarp über die Zaberner Angelegenheit, die ein
Hauptstück seiner Rede bildeten. Meine politischen Freunde können sich
ganz und gar nicht der Auffassung anschließen, als ob das Votum des
4 . Dezember nur die Aufwallung eines Augenblicks und ohne politische Be-
deutung gewesen sei. Ja, ich verhehle nicht: wir haben gewollt, daß der
Reichstag mit dem Beschluß, den er nach einer Interpellation zu fassen
hat, ein Urteil ausspricht über die Politik, die die Regierung getrieben hat;
und nur ahnungslose Gemüter konnten daran zweifeln, daß dieser Beschluß
des Reichstags sich im gegebenen Augenblick zu einer solchen Bedeutung
entwickeln werde. Gewiß, der Reichskanzler sagt, daß diese Bedeutung
früher nicht in Aussicht genommen sei. Es stimmt, daß auch die Herren
von der Regierung, die außerhalb der Kommission mit Vertretern des
Reichstags über diese Frage verhandelt haben, sich bemüht haben, die Sache
so klein wie möglich zu gestalten. Aber der Reichskanzler selbst hat in jener
Sitzung ausgesprochen, daß ihm mit diesem Beschluß ein Mißtrauensvotum
erteilt worden sei; und es kann keinem Zweifel unterliegen, daß ein solches
Votum, ausgesprochen von einer so großen Mehrheit des Hauses, auch in
einem nicht streng parlamentarisch regierten Staatswesen seine Wirkung
nicht verfehlen kann, weil es ein Urteil der berufenen Volksvertretung über
die Politik des verantwortlichen Staatsmannes enthält, der mit dieser Ver-
tretung zusammen arbeiten soll, weil es seine Autorität vor dem Lande
beeinträchtigen muß. Graf Westarp verlangte, in das Innere der Parteien
zu sehen, wie sie heute wohl über die Sache denken. In unser Inneres
wollen wir ihm gern einen Einblick gestatten. Wir machen kein Hehl daraus,
daß wir eine Verstärkung der Rechte des Parlaments gewollt haben (Rufe
r.: Aha !), und daß wir uns freuen, wenn ein weitergehender Einfluß des
Parlaments herbeigeführt wird. Jedenfalls halten wir ein parlamentarisches
Regime noch immer für besser als den Scheinkonstitutionalismus, wie er
heute bei uns besteht. Aber bei dieser Auffassung müssen wir gleichwohl
die Tatsache anerkennen, daß nach unserer Verfassung, wie sie heute besteht,
der Reichskanzler nicht verpflichtet ist, vom Amt zurückzutreten, wenn die
Mehrheit des Reichstags ihm das Vertrauen versagt. Ob der Reichskanzler
richtig handelt, ob er klug handelt, wenn er diese Folgerung nicht zieht,
das ist eine andere Frage. Fürst Bülow hat sie gezogen; er hat seinen
Abschied genommen, als die Erbschaftssteuervorlage von den Konservativen
und der damaligen Mehrheit abgelehnt worden ist. Wir haben ihm damals
mit Genugtuung bekundet, daß er als ein konstitutioneller Staatsmann ge-
handelt und einen Fortschritt auch bei uns auf diesem Gebiete angebahnt
hat. Aber eines darf ich hinzufügen, wenn ich an die Forderung denke,
die die Sozialdemokratie durch den Mund des Abg. Scheidemann gestern
hat aufstellen lassen. Das parlamentarische Regime setzt auch voraus, daß
die Parteigestaltung im Lande sich entsprechend vollzieht, setzt voraus, daß
die Parteien, die der Regierung das Mißtrauensvotum bekunden, ihrerseits
bereit sind, die Regierungsgeschäfte zu übernehmen und zusammen mit den
anderen Parteien, die die Mehrheit gebildet haben, die Verantwortung zu
tragen. Da weiß ich nun in der Tat nicht, ob die Sozialdemokratie, die