Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunundzwanzigster Jahrgang. 1913. (54)

426 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Dezember 10.) 
m. H., und kann ich auch heute nicht sagen; denn es widerspricht sowohl 
dem Wesen als auch dem Zweck der Disziplinargewalt, wenn man ihre Aus- 
übung im einzelnen der öffentlichen Kritik preisgeben wollte. Nicht einmal 
die direkten Vorgesetzten dürfen in die Ausübung eingreifen, es sei denn 
daß es sich um Verstöße gegen gesetzliche Bestimmungen oder um die Unter- 
lassung der Ahndung eines Vergehens handelt. Wollte man anders ver- 
fahren, so würde man denjenigen, die im Kriegsfall die Verantwortung in 
den höchsten Momenten der Gefahr allein tragen können und sie daher im 
Frieden allein tragen müssen, diese aus der Hand winden, und man würde 
damit den Grundstein unterhöhlen, auf dem unsere Armee ruht. Wenn 
ich mich nicht irre, m. H., so ist auch hier im Hause schon häufig, und 
zwar nicht bloß von dieser Bank, sondern auch von den Bänken im Saal 
aus betont worden, daß es unbedingt nötig sei, den zuständigen Disziplinar- 
vorgesetzten die Befugnisse zu geben, die sie zur Erfüllung ihrer Disziplinar= 
gewalt brauchen, das ist: Selbständigkeit, und das ist: das nötige Dienst- 
ansehen. Wie aber ein Disziplinarvorgesetzter sich selbständig fühlen soll 
und wie er sein Dienstansehen behalten soll, wenn er gewärtig sein muß, 
daß seine Disziplinarmaßregeln im einzelnen der Kritik der mit der Sach- 
lage nicht vertrauten Oeffentlichkeit ausgesetzt werden, das weiß ich nicht. 
Es ist dann über die Verlegung der beiden Bataillone nach dem Truppen- 
übungsplatz gesprochen worden. Ich möchte den Untersuchungen darüber, 
für wen das nun eigentlich eine Strafe sein soll, wer dadurch mehr ge- 
schädigt wird, ob die Garnison, die Offiziere, die Unteroffiziere oder die 
Mannschaften, nicht folgen; denn, m. H., es handelt sich um eine Maßregel, 
die, wie hier auch anerkannt ist, notwendig war, und wenn eine militärische 
Maßregel notwendig ist, um Ruhe und Frieden zu stiften, so kann man 
sich schließlich nicht lange bedenken, ob jemand dadurch geschädigt wird. 
So viel, m. H., über Zabern! Es ist dann noch von dem Abg. Dr. Spahn 
auf den Fall Knittel eingegangen worden. M. H., der Leutnant der Land- 
wehr Knittel hat, soviel ich weiß, Revision gegen das ihm ungünstige Ur- 
teil eingelegt, und ich möchte deswegen mit dem Abg. Sperlich, der dahin- 
gehende Ausführungen im April oder Mai gemacht hat, auf den Fall im 
einzelnen nicht eingehen. Aber das eine kann ich schon heute erklären, daß 
ich in dieser Frage mit meinen beiden Amtsvorgängern auf dem gleichen 
Standpunkte stehe, der folgender ist: jedes Zurverantwortungziehen eines 
Offiziers des Beurlaubtenstandes wegen politischer Betätigung innerhalb 
der staatserhaltenden Parteien muß ausgeschlossen bleiben. Ein Cffizier 
allerdings, der sich in antinationalem oder antimonarchischem Sinne be- 
tätigt, kann nicht im Heere belassen werden. In einer monarchischen und 
nationalen Armee sind solche Führer undenkbar. Da Herr Pnittel noch 
heute als Offizier des Beurlaubtenstandes der Armee angehört, trotzdem 
wegen seines Verhaltens bei und nach den Landtagswahlen im Jahre 1908 
die Untersuchung längst geführt und zum Abschluß gebracht ist, dürfte das 
eine zweifellos feststehen: an den maßgebenden Stellen ist dem Leutnant 
der Landwehr Knittel der Vorwurf antinationalen oder antimonarchischen 
 Verhaltens nicht gemacht worden. 
     Reichskanzler v. Bethmann Hollweg: Ich muß zu einigen Gegen- 
ständen Stellung nehmen, welche im Laufe der bisherigen Debatte erörtert 
worden sind. Ich muß zunächst anknüpfen an eine Auslassung des Grafen 
Westarp über den Schutz gegen Mißbrauch des Koalitionsrechtes, ein Gegen- 
stand, über den soeben auch Freiherr v. Gamp sich geäußert hat. Es 
ist nicht wohl möglich, daß ich während der ersten Lesung des Etats diesen 
Gegenstand bis in alle seine Konsequenzen hinein erörtere. Ich weise zu- 
nächst auf das hin, was ich vor drei Jahren über diese Frage hier im
	        
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