428 Das Deutsche Reich nnd seine einzelnen Glieder. (Dezember 10.)
nicht in dem Tatbestand des betreffenden Paragraphen des Strafgesetzes
liegt, sondern in andereu Gründen, sehr häufig und sehr vielfach daran,
daß es an den notwendigen Zeugen gefehlt hat. Dazu kommt noch ein
zweiter und wie mir scheint, wichtigerer Punkt hinzu. Gerade die empfind-
lichsten Formen des Terrorismus, die beispielsweise gerade auf wirtschaft-
lichem und gesellschaftlichem Boden vorkommen, sehr häusig auf der Arbeits-
stätte, gerade diese Formen des Terrorismus, die am empfindlichsten wirken,
aber sich in der Regel nicht ausdrücken in aktiven Angriffen, sondern in
Unterlassungen — diese Unterlassungen werden wir durch das Strafgesetz-
buch nicht fassen. Ich will damit nicht sagen, daß nicht auf diesem Ge-
biete eine Veränderung des Strafgesetzbuches möglich ist, ich habe nur davor
warnen wollen zu glauben, daß die großen Schäden, die wir tatsächlich
haben, und die von weiten Kreisen der Bevölkerung empfunden werden,
nun dadurch etwa geheilt werden. Es ist im Gegenteil die Besorgnis aus-
zusprechen, daß gerade die Formen des Terrorismus, die vom Strafrichter
nicht gefaßt werden, zunehmen werden. Wir haben ähnliche Erfahrungen
im Verlaufe der Dinge bereits gehabt. Gewiß, m. H., gerade diese Formen
des Terrorismus werden besonders stark gefühlt und werden sehr bitter
empfunden z. B. in den unzähligen Fällen, wo der mit dem wirtschaft-
lichen, mit dem gesellschaftlichen Boykott auf der Arbeitsstätte Bedrohte sich
vor dem Ruin seiner ganzen Existenz sieht, wenn er nicht dem Boykott
nachgeben wird. M. H., ich glaube, Hilfe auf allen diesen Gebieten, wirk-
same Hilfe wird nur dann geschaffen werden, wenn sich das allgemeine
Volksempfinden gegen diese Einschnürung der persönlichen Freiheit auflehnt,
wenn sie diesen Terrorismus von sich abweist. (Unruhe bei den Sd. Zwischen-
rufe: Schwarze Listen! Militärbonkott! Glocke des Präsidenten.) M. H.!
Ohne diese Hilfe werden auch neue Paragraphen sehr leicht auf dem Papier
stehen bleiben. Nun, m. H., bin ich der Ansicht und ich glaube, sie ist be-
gründet, daß unser Volksempfinden bei der Ueberspannung des Koalitions-
gedankens, die stattgefunden hat, immer energischer sich auflehnt gegen diesen
Boykott, gegen diesen Terrorismus, wie ich ihn geschildert habe. Ich stimme
mit dem Abgeordneten v. Gamp vollkommen darin überein, man kann diese
Stimmung nicht ablehnen, wie es die Herren von der Sozialdemokratie
tun, mit dem Hinweis auf Scharfmacherei. Damit ist gar nichts getan.
Die Mitteilungen, die uns gestern der Abgeordnete Bassermann machte,
waren doch recht bezeichnend, und ebenso bezeichnend ist die Haltung einer
großen Zahl von Handelskammern und die Kundgebungen aus dem Hand-
werkerstande und schließlich auch die Stellung des Direktoriums des Hansa-
bundes. (Lachen l. Sehr richtig! r. Abg. Heine (Soz.) ruft: Und die Dutzende
von Organisationen dagegen!) Die Regierung — ich bitte die Herren auch
auf der rechten Seite des Hauses das zu beachten — ist sich der Ver-
antwortung, die sie gegenüber den tatsächlichen Erscheinungen und die sie
gegenüber der Stimmung im Volke hat, vollkommen bewußt, und ich stimme
auch dem Grafen Westarp durchaus darin zu, daß in dieser unser Volks-
teben so tief berührenden Frage die Regierung eine führende Rolle zu
spielen hat, und daß sie dem Reichstage eine Aktion vorschlägt, sobald sie
glaubt, daß die Vorbedingungen hierfür gegeben sind. M. H.! Ich habe
schon vor längerer Zeit den Staatssekretär des Innern gebeten, die Er-
fahrungen, die in dem ganzen Verlaufe der deutschen Arbeitsstreitigkeiten
gesammelt worden sind, und die Erfahrungen die in andern Ländern ge-
macht worden sind, zusammenzustellen. Ich nehme an und hoffe, daß in
nicht zu ferner Zeit dem Reichstag diese Arbeit vorgelegt werden wird.
Sie wird, m. H., nicht nur, was ich für durchaus erwünscht halte, wert-
volle Fingerzeige für die Handhabung der bestehenden Gesetze ergeben, denn