430 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Dezember 10.)
waren. Das war es, worin die Unvereinbarkeit mit dem Friedensstand
unter den Bundesgliedern zu finden war, den die Reichsverfassung und
die Bündnisverträge fordern. M. H.! Von diesem Gesichtspunkte aus mußte
der Bundesrat auch jetzt die Situation prüfen, und. er hat sie von diesem
Gesichtspunkte aus geprüft. M. H.! Er hat sich also strikte auf den Stand-
punkt gestellt, auf die Grundlagen, die 1885 gelegt worden waren. Von
einem Umfall ist also in keiner Beziehung eine Rede. Nun, m. H., der
Bundesrat ist, wie bekannt, zu der Ueberzeugung gekommen, daß die
hannöverisch-welfischen Aspirationen in Braunschweig unter der Regierung
des Prinzen Ernst August keinerlei Unterstützung finden würden. Der
Bundesrat gründet diese Ueberzeugung auf die Vermählung des Prinzen
mit der Tochter des Kaisers, auf seinen Eintritt in die preußische Armee,
auf sein mit dem Fahneneid für Lebenszeit gegebenes feierliches Versprechen.
nichts zu tun und nichts zu unterstützen, was darauf gerichtet ist, den der-
zeitigen Besitzstand Preußens zu verändern, auf das Bekenntnis des Prinzen
zur Verfassung und zu den Pfllichten, welche ihm gegen seine Verbündeten
obliegen. M. H.! Die Bedeutung dieser Garantien an sich ist wohl nicht
bestritten worden. Aber es ist gesagt worden, diese Garantien lägen auf
sentimentalem Gebiet. Es fehle die staatsrechtliche Grundlage und diese
könne nur geschaffen werden durch den Verzicht und zwar durch den Ver-
zicht zugleich für die etwaigen Nachkommen. Dieser Standpunkt, so will
mir scheinen, scheint doch ein reichlich theoretischer, ich möchte sagen bureau-
kratischer zu sein und er steht noch dazu juristisch auf sehr schwachen Füßen.
Was würde denn mit dem so viel besprochenen staatsrechtlich bindenden
Verzicht für das Reich und für Preußen erreicht worden sein? Die Situation
ist doch die: Hannover ist eine preußische Provinz kraft preußischen Gesetzes
und Preußen ist auf Grund der Reichsverfassung ein Glied des Deutschen
Reiches mit Einschluß der Provinz Hannover. Es gibt keinen Staat Han-
nover und es gibt keine Monarchie in einem Staat Hannover. Ein Ver-
zicht auf ein Monarchenrecht kann aber nur dem eigenen Staat, nicht einem
anderen Staat gegenüber ausgesprochen werden. Dieser eigene Staat be-
steht nicht. Ein Rechtsverzicht gegenüber Preußen aber wäre juristisch in-
haltlos, weil Preußen keine Rechte auf Hannover kennt, sondern höchstens
vermeintliche Ansprüche auf die Wiederherstellung des Zustandes vor 1866.
Und was den Verzicht für die etwaigen Nachkommen anlangt, m. H., so
überwiegt in der Staatsrechtslehre die Ansicht, daß der Verzicht mit recht-
licher Bindung nur für die Person des Erklärenden selbst, nicht für die
Nachkommen und Agnaten ausgesprochen werden kann. Also, m. H., die-
jenigen, die da glauben, unter juristischen und staatsrechtlichen Gesichts-
punkten den Verzicht fordern zu müssen, befinden sich in einem Irrtum.
Aber wie gesagt, ich halte den ganzen Streit, der mit dem Verzicht in
seiner staatsrechtlichen Bedeutung zusammenhängt, für einen theoretischen,
für einen formalistischen. Er geht an dem Kern der Sache vorbei. Die
Bürgschaft, die der Prinz Ernst August für eine der Reichsverfassung ge-
treue, seinen gegen die Verbündeten ihm obliegenden Verpflichtungen ent-
sprechende Regierung in Braunschweig abgegeben hat, sein Versprechen, daß
er Ansprüche auf Wiederherstellung eines selbständigen Hannvver nie und
nimmer in keiner Form beschreiten werde, sind ausreichend. Diese Garantien
sind gerade so bindend, ob sie mit oder ohne Verzicht ausgesprochen werden.
Wenn diese Garantien, die jetzt ohne Verzicht abgegeben worden sind, ver-
sagten, dann würden sie auch zusammenfallen, wenn der Verzicht aus-
gesprochen worden wäre. Aber, m. H., beides ist ausgeschlossen, aus-
geschlossen durch die über jeden Zweifel erhabene Loyalität des Prinzen
Ernst August. Nun aber, m. H., wenn die Voraussetzungen dafür vor-