Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunundzwanzigster Jahrgang. 1913. (54)

432 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Dezember 10. 11.) 
Boden gestellt. Der Abg. Wiemer hat es zwar abgelehnt, sich die An- 
schauungen der sozialdemokratischen Fraktion über die Tragweite dieses 
Mißtrauens-= oder Mißbilligungsvotums, es sind ja verschiedene Worte ge- 
braucht worden, anzueignen. Er hat aber unwillige Aeußerungen darüber 
gemacht, daß ich im Laufe der Etatsberatungen auf die Zaberner Angelegen- 
heit nicht noch einmal zurückgekommen bin, und daß dem Reichstage keine 
weiteren amtlichen Erklärungen zugegangen sind. Ja m. H., was sollte ich 
denn zur Sache weiter noch erklären, nachdem am 3. Dezember gesagt und 
seitdem bekannt war, daß der Interpellationsgegenstand einem gerichtlichen 
Verfahren unterliegt. Wohin führen uns denn die jetzigen weiteren De- 
batten? Es wird Partei ergriffen auf der einen Seite für das Militär 
und auf der anderen Seite für das Zivil. Der eine wirft dem Kreisdirektor 
Vernachlässigung seiner Pflichten vor, der andere richtet die Angriffe gegen 
den kommandierenden General. M. H., ich habe am 3. Dezember erklärt, 
daß ich auf Grund der mir vorliegenden einander widersprechenden Be- 
richte über das Verhältnis, das an dem einen kritischen Tage zwischen 
Zivil und Militär in Zabern geherrscht hat, mit Sicherheit nicht entscheiden 
kaun, wo Recht und Unrecht liegt. Ich kann nur bedauern, daß bei diesem 
ungewissen Stande hier schon kategorisch geurteilt worden ist und insonder- 
heit, daß Angriffe gegen einzelne Personen gerichtet worden sind. (Zuruf 
des Abg. Oertel.) Ich will nicht mißverstanden werden, nach den Aeuße- 
rungen, die der Abg. v. Oertel hier gemacht hat. Ich habe augsdrücklich 
gesagt, ich hätte nicht entschieden nach den sich widersprechenden Berichten 
der Militär- und Zivilbehörden, wo das Recht in diesem Widerstreit liegt. 
Darum sage ich, es ist gefährlich, wenn schon jetzt kategorische Urteile über 
Pflichtwidrigkeiten des Kreisdirektors einerseits gefällt werden und wenn 
auf der anderen Seite ebenso kategorische Urteile über das Verhalten des 
kommandierenden Generals laut wurden. Ich muß mir bei diesem unsicheren 
Stande der Dinge Reserve auferlegen. Das eine, m. H., aber kann ich 
Ihnen versichern, daß in der amtlichen Behandlung und in der Beurteilung 
der ganzen Sache infolge der Interpellation kein Umschwung eingetreten 
ist. Die Annahme des Abg. Wiemer ist falsch und ebenso und mit der 
gleichen Bestimmtheit sage ich, daß von einem Rückzuge, wie Graf Westarp 
zu befürchten schien, in keiner Weise die Rede ist. Das Zurückgreifen des 
Abg. Scheidemann auf die Interpellationsdebatte hat wenigstens das eine 
Gute gehabt, daß er offenbar machte, daß eine Homogenität unter den 
Parteien, welche sich auf das Mißbilligungsvotum vereinigt hatten, in 
keiner Weise vorhanden ist. Eine Einmütigkeit bestand ebensowenig über 
seine Tragweite, wie über seine Motive. Die Aeußerungen der sozial- 
demokratischen Presse und danach die Aeußerungen des sozialdemokratischen 
Wortführers in diesem Hause haben, darin stimme ich mit dem Grafen 
Westarp durchaus überein, keinen Zweifel darüber gelassen, daß die Sozial- 
demokratie die Vorfälle in Zabern zum willkommenen Anlaß genommen 
hatte, um gegen die verfassungsmäßigen Rechte des Kaisers und den Obersten 
Kriegsherrn und gegen die Armee einen kräftigen Sturm einzuleiten. Hier 
scheiden sich die Geister. Hier ist die Sozialdemokratie isoliert und sie 
wird es hoffentlich für immer bleiben. 
        11. Dezember. (Straßburg.) Vor dem Kriegsgericht der 
30. Division fand die erste Verhandlung in der Zaberner Angelegen- 
heit statt. 
Angeklagt sind die Rekruten Henk, Schaibel und Blelli. Henk ist 
angeklagt, am 19. November sich des Ungehorsams gegen einen Befehl des 
Obersten schuldig gemacht zu haben, indem er Mitteilungen über Borgänge
	        
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