Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Dezember 11. 12.) 433
in der Instruktionsstunde an die Presse gelangen ließ, ferner Unterschriften
gesammelt zu haben, zu dem Zwwecke, sie jedenfalls den Zeitungen zu-
zustellen. Die beiden anderen sind angeklagt, der Aufforderung des Henk,
ein Schriftstück zu unterschreiben, Folge geleistet zu haben. Allen Dreien
wird zur Last gelegt, daß durch ihre Handlung ein erheblicher Nachteil für
das Ansehen der Armee entstanden sei. (§§ 92, 93 und 101 MStGB.). Der
Musketier Henk wird zu sechs Wochen Mittelarrest, die beiden anderen An-
geklagten zu je drei Wochen Mittelarrest verurteilt. In der Begründung
wird ausgeführt, daß der § 93 keine Anwendung gefunden hat, da die
Angeklagten nicht hätten voraussehen können, welche Nachteile ihre Hand-
lungsweise nach sich ziehen würde, dagegen wurde § 101 als gegeben erachtet.
11. Dezember. Zum Vorsitzenden der sozialdemokratischen
Fraktion des Reichstags wird Abg. Scheidemann (als Nachfolger
des + Bebel) gewählt.
11. Dezember. (Würzburg.) Die Studenten der Zahnheil-
kunde der Universität sind in einen Sympathiestreik für die Leipziger
Kollegen eingetreten. Sie fordern, wie die Leipziger, den Doktor-
titel der Zahnheilkunde.
12. Dezember. (Berlin.) Die Vereinigung der Arbeitgeber-
verbände gründet die „Zentrale der deutschen Arbeitgeberverbände
für Streikversicherung“.
Die Zahl der Arbeiter, die von den so organisierten Arbeitgebern
beschäftigt wird, beläuft sich auf ungefähr 675000, die Summe der ihnen
jährlich gezahlten Löhne auf 704 Millionen Mark.
12. Dezember. (Reichstag.) Fortsetzung der Generaldebatte
zum Etat. Noch einmal Zabern.
Abg. David (Sd.): Die bisherigen Debatten beweisen, daß die große
Mehrzahl des Reichstages nach wie vor das Verhalten des Reichskanzlers
in der Zaberner Angelegenheit mißbilligt. Worin besteht die schwere Be-
strafung des Leutnants v. Forstner? Etwa in acht Tagen Stubenarrest,
damit er seine Schokolade in Ruhe essen kann? Die gestrigen Verhand-
lungen gegen die Rekruten beweisen, daß er tatsächlich eine beleidigende
Aeußerung gegen die französische Fahne getan hat. Ich hoffe, daß er dafür
energisch bestraft wird, ebenso für seine Behandlung des lahmen Schusters.
Oder sollte er sich in diesem Falle selber die ausgesetzte Prämie haben ver-
dienen wollen? Die Vorkommnisse beweisen, daß Elsaß-Lothringen die
völlige Selbständigkeit gegeben und das Militärstrafverfahren geändert werden
muß. Daß das Verständnis dafür gewachsen ist, das verdanken wir dem
Kriegsminister und dem Reichskanzler. Wenn die Herren von der Armee
sprechen, meinen sie die Offiziere, die anderen sind die Gemeinen, die man
schinden darf, und die sind es doch in erster Linie, welche die Schlachten
geschlagen haben. Die Offiziere sollen nicht mit anderem Maß gemessen
werden, als die übrigen Mitglieder der Armee. Es wird sich fragen, welche
Konsequenzen der Reichskanzler zieht. Den Etat abzulehnen, lehnen Sie
(zu den anderen Parteien) ab. Aber jedenfalls haben Sie sich vor der
Oeffentlichkeit engagiert, Konsequenzen zu ziehen. Man sollte meinen, sie
müßten wenigstens in einer Reform des Militärstraf= und Verfassungs-
rechtes liegen, die uns vor Wiederholungen der Zaberner Vorgänge be-
wahren. Die Sozialdemokratie lehnt nicht prinzipiell den Etat ab. Ist
Europäischer Geschichtskalender. LIV. 28