436 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Dezember 13.)
sammengesetzte Mehrheit vereinigt, ist in der Hauptsache der Rede des
Reichskanzlers vom 3. Dezember zuzuschreiben. Sie vor allem war die
Quelle der „Mißverständnisse“, auf welche der Reichskanzler den Beschluß
des Reichstages vom 4. Dezember zurückführte. Herrn v. Bethmann liegt
die Kleinkunst der Regie nicht, in der sein Amtsvorgänger Meister war.
Er verschmäht sie wohl sogar. Darum aber handelt es sich in dem vor-
liegenden Falle durchaus nicht. Vielmehr wäre die Schlacht voraussichtlich
alsbald gewonnen gewesen, wenn der Kanzler unter Voranstellung des in
seiner letzten Rede sachgemäß hervorgehobenen Grundsatzes, daß Recht und
Gesetz überall voll gewahrt werden müssen, unter Anerkennung der Tat-
sache, daß in Zabern Verstöße gegen Recht und Gesetz vorgekommen sind,
mit knappen und kurzen Worten dargelegt hätte, was zur Sühne der vor-
gekommenen Verstöße und zur Verhütung ihrer Wiederkehr und zur Her-
stellung eines gedeihlichen Verhältnisses zwischen Zivilverwaltung und Militär
im Reichslande geschehen ist. Statt dessen jene seltsame Rede vom 3. De-
zember, deren Eindruck auf das Haus am besten die nachfolgende Rede
des Zentrumsmannes Fehrenbach widerspiegelt. Als dann bei der Aus-
sprache über den Haushalt unter dem Eindruck des wirklichen Sachverhalts
und der von den Sozialdemokraten bei ihrem Vorstoß verfolgten weiteren
Ziele die Mehrheit vom 4. Dezember auseinanderzufallen begann, da ist
es wieder die Rede des Reichskanzlers, welche die auseinanderstrebenden
Teile wieder zusammenführte und überdies seine letzte durchaus sachgemäße
Rede als einen Rückzug erscheinen ließ. Man kann sich des Eindrucks
nicht erwehren, daß der Reichskanzler dem psychologischen Momente in der
Behandlung des Reichstages verständnisloser, als gut ist, gegenübersteht.
Um so bedauerlicher erscheint es, daß ihm nicht ein in dieser Hinsicht so
ausgezeichneter Berater zur Seite steht, wie dem Fürsten Bülow in der
Person des Herrn v. Loebell. Die patriotischen Sorgen, welche die Leitung
unserer Reichs- und Staatspolitik ohnehin hervorzurufen nur zu geeignet
ist, sind daher durch die Vertretung dieser Politik in Sachen Zabern
wenigstens nicht vermindert worden.“
13. Dezember. (Berlin.) Ersatz für den Historiker Prof. Lenz.
Geheimrat Max Lenz, der von der Universität nach Hamburg an
den Wissenschaftlichen Verein geht und im nächsten Semester dort sein
Lehramt antritt, hat sich nach dem „Tageblatt“ darüber folgendermaßen
geäußert: „Dreißig Jahre gehöre ich bereits der Berliner Universität an.
Ich bin wie mit ihr verwachsen, mir hat es nicht an Ehren und Aus-
zeichnungen gefehlt. Ich wurde zum Rektor gewählt — und doch gehe ich
nach Hamburg. Das wird gewiß vielen sonderbar erscheinen, und so manche
anderen Kollegen in meinem Alter würden sich pensionieren lassen und
nicht noch ein neues Amt antreten. Ich aber gehe nach Hamburg, weil
mir hier ein ganz neuer Wirkungskreis winkt, weil ich vor ganz neue Auf-
gaben gestellt werde und gewissermaßen noch einmal von vorn anfange.
Das reizte mich und bewog mich, den Ruf anzunehmen, trotzdem, das muß
ich besonders betonen und lobend hervorheben, die Regierung alle An-
strengungen gemacht hat, mich in Berlin zu halten. Vielleicht wäre ich
aber nicht nach Hamburg gegangen, wenn ich mir hätte sagen müssen, es
wird schwer halten, für mich einen geeigneten Nachfolger zu finden. Das
ist aber nicht der Fall. Zum Glück liegen die Verhältnisse hier günstiger
wie auf dem Lehrgebiet des verstorbenen Professors Erich Schmidt. An
kräftigem Nachwuchs von Historikern, namentlich auch aus meiner Schule,
ist kein Mangel!“ Als Nachfolger wurden vorgeschlagen: Prof. E. Marcks in
München, Prof. F. Meinecke in Freiburg und Prof. H. Oncken in Heidelberg.