Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunundzwanzigster Jahrgang. 1913. (54)

40 Das Deruische Neich und seine einzelnen Glieder. (Februar 1.) 
den Kanzler. Nichts ist zur Erziehung der Sozialdemokratie geeigneter, 
als ihre Mitarbeit in den Kommunen, und viele ihrer Mitglieder arbeiten 
fleißig mit. Daß aber eine Sozialdemokratie überhaupt vorhanden ist, liegt 
an unseren Zuständen. Schaffe man also ein gerechtes Wahlrecht im Land- 
tag! Das würde dem Abgeordnetenhause hohe Autorität verschaffen. Preußens 
Verdienste erkennen wir willig an. Aber wieder muß die Zeit kommen, da 
durch zeitgemäße Reformen und durch Beseitigung aller Cliquen Preußen 
zet dasteht und moralische Eroberungen in aller Welt macht. (Lebhafter 
Beifall l.) 
Minister des Innern v. Dallwitz: Der Abg. Cassel verdammt das 
preußische Landtagswahlrecht in Grund und Boden, aber das Wählen 
ist doch nicht Selbstzweck, und bisher haben die auf Grund des preußischen 
Wahlrechts gewählten Landtage recht sachlich und ersprießlich gearbeitet, zum 
Beispiel auf dem Gebiete des Unterrichtswesens, des Steuerwesens, des 
Kommunalwesens usw. Was die Interpellation über das Enteignungs- 
gesetz betrifft, so muß ich namens der preußischen Staatsregierung aus- 
drücklich und mit aller Entschiedenheit erklären, daß dieser Versuch die Zu- 
ständigkeit des Reichstags überschreitet. Ich werde in dem Bestreben, das 
Vereinsgesetz unparteiisch zu handhaben, nicht nachlassen. Abg. Cassel sprach 
über die Eingemeindung Treptows nach Berlin und die damit zu- 
sammenhängenden Beschwerden, daß der Landrat von Teltow, Herr von 
Achenbach, den Oberbürgermeister von Berlin nicht empfangen wollte. 
Es waren aber bereits schriftliche Verhandlungen vorausgegangen, und der 
Landrat hatte bereits ausführlich geantwortet, und zwar in seiner Eigenschaft 
als Kommunalbeamter. Auch der Landesdirektor der Provinz Brandenburg 
ist lediglich ein Provinzialbeamter. Die Antwort lautete, daß auf Grund 
eines Kreistagsbeschlusses der Landrat oder Kreisausschuß nicht in der Lage 
sei, über die Eingemeindung Treptows nach Berlin zu verhandeln. Von 
einer Brüskierung Berlins kann keine Rede sein. Die Staatsregierung hat 
sich mit dieser Frage überhaupt noch nicht befaßt. Die prinzipielle Stellung 
der Regierung zur Eingemeindung von Berliner Vororten habe ich bereits 
bei der Beratung des Zweckverbandsgesetzes dargelegt. In den neunziger 
Jahren ist Berlin eine Eingemeindung im großen Stile angeboten worden, 
Charlottenburg, Lichtenberg, im Süden bis zur Ringbahn usw. Die Ver- 
handlungen haben sich von 1891 bis 1896 hingezogen. Berlin hat immer 
abgelehnt wegen der angeblichen finanziellen Opfer, die der Stadt zugemutet 
würden. Nun die Gelegenheit verpaßt ist und die Verhältnisse sich gründlich 
geändert haben, kann Berlin doch nicht verlangen, daß es sich nach Belieben 
irgendwelche günstig gelegenen kleinen Gemeinden zur Eingemeindung heraus- 
schneiden kann. Mit Treptow wäre es sicherlich nicht abgetau. Ich glaube, 
auch dieses Haus würde solche Absichten nicht billigen. Wir kommen Berlin 
in allen Fragen der Selbstverwaltung auf das peinlichste entgegen, aber es 
ist doch kein verbrieftes Recht der Selbstverwaltung, sich auf Kosten anderer 
auszudehnen. Daß Berlin in der Frage der Wohnungspolizei angeblich 
neun Monate ohne Antwort geblieben ist, liegt an den nötigen Vor- 
bereitungen. Der Antrag ist am 21. Juli beim Oberpräsidium eingegangen. 
Wir mußten doch erst in kommissarische Verhandlungen mit den übrigen 
Ressorts eintreten, ob es möglich sei, den Wunsch Berlins zu erfüllen. Die 
Wohnungspolizei ist überhaupt kein technisch feststehender Begriff. Es fallen 
darunter Baupolizei, Sittenpolizei. Gesundheits= und Sicherheitspolizei. 
Solch ein Antrag muß doch eingehend geprüft werden. (Beifall.) 
1. Februar. (Bundesrat.) Es wird genehmigt, daß Preußen 
im ganzen 12 Millionen Erinnerungemünzen für 1913 ausprägt,
	        
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