krankreich. (Februar 20.) 533
grausamen Schicksal von 1870 mit sich zu Rate ging, war es von dem
Gedanken beseelt, daß eine große Demokratie Herrin ihres eigenen Schick-
sals sein sollte und daß ein offenes parlamentarisches Regime in Zukunft
für das Volk die unerläßliche Garantie eines methodischen und geordneten
Fortschritts sein solle. Frankreich hat sich nicht getäuscht. Die Verfassung,
die es sich gab, hat eine lange Periode der Ruhe und Arbeit gesichert und
das Land hat den Willen, diese Periode nicht unterbrechen zu lassen. Die
Vorrechte des Parlaments sind ohne Mühe mit den Rechten und Pflichten
der Regierung vereinbar. Eine Herabsetzung der Regierungsgewalt würde
weder dem Wunsche der Kammer noch dem des Landes entsprechen, denn
ohne eine starke, umsichtige Regierungsgewalt würde das gute Funktionieren
des öffentlichen Verwaltungsdienstes schnell in Frage gestellt werden und
in gewissen Stunden könnte selbst der öffentliche Friede bedroht werden.
Während der ganzen Dauer meines Amtes werde ich im Einvernehmen
mit den verantwortlichen Ministern darüber wachen, daß die Regierung
der Republik unter der Kontrolle des Parlamentes die Autorität, welche
sie beanspruchen muß, unangetastet erhält. Es ist die Aufgabe der Re-
gierung, in ernsten Stunden die öffentliche Meinung zu führen und zu be-
raten; es ist Sache der Regierung, zwischen den Interessen, die sich an-
einander reiben, eine vernunftgemäße Wahl zu treffen; es ist Sache der
Regierung, zwischen den allgemeinen und den besonderen, zwischen den
dauernden und den zufälligen Interessen zu unterscheiden, und bei dem
Auftauchen einer jeden neuen Idee das herauszufinden, was sie an Todes-
keimen oder lebenden und fruchtbaren Elementen enthält. Die Republik hat
sich seit ihrer Geburt ohne Unterlaß bemüht, den Zustand des Landes zu
verbessern. Sie hat den öffentlichen Unterricht auf unerschütterlicher Grund-
lage organisiert und hat den Ehrgeiz, die nationale Erziehung auch weiter
zu verbessern. Sie hat bedeutende Finanzreformen verwirklicht und schickt
sich an, in das Steuersystem noch mehr Gerechtigkeit einzuführen. Die Re-
publik hat immer die Souveränität des allgemeinen Stimmrechts pro-
klamiert. Sie erstrebt heute in der Vervollkommnung des Wahlsystems einen
möglichst aufrichtigen und gerechten Ausdruck des Volkswillens. Die Re-
publik hat niemals aufgehört, die Wissenschaft, die Literatur und die Künste
zu ermuntern und sie erwartet von der Zusammenarbeit aller Bürger, daß
die Stärke und Anmut des französischen Genies immer mehr Licht ver-
breitet. Die Republik hat durch die Revision ihres Schulsystems und durch
die Entwicklung ihres ländlichen Genossenschaftswesens den Bauern in
Frankreich ihre Dankbarkeit und ihre Sympathien bezeugt und sie prüft
heute die Mittel, die Lasten zu erleichtern, die auf dieser Bevölkerung ruhen.
Die Republik hat sich stets für das Gedeihen des Handels und der In-
dustrie bemüht und sie bereitet neue Gesetze vor, um die persönliche Initia-
tive und Energie zur Erschließung neuer Quellen des wirtschaftlichen Reich-
tums anzuregen. Die Republik hat mit großen Opfern Werke der sozialen
Fürsorge und Versicherung geschaffen. Um in regelmäßigem Fortschritt ihre
Aufgaben zu erfüllen, hat die Republik die Pflicht, mit Festigkeit die Ord-
nung im Innern zu erhalten, mit Eifersucht darüber zu wachen, daß ihr
Budget im Gleichgewicht bleibt und daß ihre finanzielle Macht nicht an-
getastet wird. Sie muß alles tun, was von ihr abhängt, um Frankreich
die Achtung der Welt und die Wohltaten des äußeren Friedens zu erhalten.
Der Friede kann nicht durch den Willen einer einzelnen Macht verfügt
werden und niemals ist das Sprichwort, welches das Altertum uns ver-
erbt hat, wahrer gewesen als heute: „Eine Nation kann mit Erfolg nur
friedfertig bleiben unter der einen Bedingung, daß sie immer bereit zum
Kriege ist.“ Ein Frankreich, das sein Ansehen verloren hätte, ein Frank-=