44 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. Februar 3.,
in jeder Beziehung den Vergleich mit denen Berlins aushalten. Der Kreis
zahlt jährlich 1,6 Millionen Mark Provinzialabgaben, dazu kommen 70
Millionen Mark Schulden. Wie soll das alles gedeckt werden, wenn uns
ununterbrochen die leistungsfähigen Gemeinden fortgenommen werden? Die
Steuersumme, die Treptow abzuführen hat, ist von 225000 Mark auf
310000 Mark im Jahre 1911 gestiegen. Nun wird man einwenden, daß
ja Berlin bereit ist, diese Summe in irgendeiner Form abzulösen. Das
ist wohl richtig, aber die Progression, die sich überall bemerkbar macht, würde
dem Kreise Teltow verloren gehen. Dagegen müssen wir uns energisch
wehren. Berlin hat etwa für 10 bis 50 Millionen Grundbesitz in Treptow.
Dieser würde ohne weiteres frei werden für Berlin, wenn es Treptow ein-
gemeinden kann.
Abg. Dr. Seyda (P.): Ungesetzlich ist es, wenn Anmeldungen in
polnischer Sprache auf den Standesämtern in Posen nicht angenommen
werden. Die Forderung, daß die Firmenschilder nicht in polnischer Sprache
abgefaßt werden dürfen, muß ich zurückweisen. Das Vereins- und Ver
sammlungsrecht wird namentlich in Ostpreußen gebeugt. Ich bitte den
Minister, daß alle Fälle, die in dieser Beziehung vorgekommen sind, nach-
geprüft und die betreffenden Beamten, die daran Schuld sind, auf die
Rechtlosigkeit ihrer Handlungsweise hingewiesen werden. Auch geschlossene
Mitgliederversammlungen werden von der Polizeiverwaltung inhibiert. Den
landwirtschaftlichen Vereinen wird nicht gestattet, in polnischer Sprache
untereinander zu verhandeln. Die Abstinenzvereine hat die Polizeiverwal-
tung zu politischen gestempelt mit der Begründung, daß jeder polnische
Verein politisch sei. Hört, hört!) Besonders stark geht die Polizeibehörde
gegen die Lokalvereine der polnischen Berufsvereine vor; ohne den geringsten
Anhalt wird gegen die Vorstandsmitglieder ein Strafverfahren eingeleitet.
Die Behauptung des Ministers, daß der polnische Boykott gegen deutsche
Geschäfte aus dem Jahre 1818 herrühre, ist unrichtig; gerade damals
kämpften die Polen Schulter an Schulter mit den loyalen Deutschen gegen
die Revolution. Der Boykott wird erst aufgehoben werden, wenn die
Gründe, die dazu geführt haben, beseitigt sind.
Minister des Innern v. Dallwitz: Wenn der Abgeordnete Senda
wünscht, daß die Standesbeamten die Anmeldungen in polnischer Sprache
aufnehmen, so ist dies ein unbilliges Verlangen. Man kann doch nicht
verlangen, daß die Standesbeamten dauernd einen Dolmetscher im Bureau
beschäftigen. Wenn der Abgeordnete Senda bestreitet, daß die polnische
Boykottbewegung schon 1848 begonnen hat, so kann ich ihm verschiedene
Zeitungsberichte und andere Literaturstellen hier vorlegen, in denen be-
richtet wird, daß schon bei der volnischen Revolution von 1848 die
Polen aufgesordert wurden, nur bei Landsleuten zu kaufen. Die Ent-
eignung von mehreren kleinen polnischen Gütern ist lediglich die Konsequenz
der bei der Verabschiedung des Enteignungsgesetzes von 1908 prinzipiell
getroffenen Entscheidung; es wäre daher verständlich gewesen, wenn die
Erregung, die sich jetzt breit macht, schon damals Platz gegriffen hätte.
Wie wenig berechtigt heutzutage die Erregung ist, ergibt sich aus der Tal-
sache, daß der Regierung durch den Umstand, daß die Polen jeden Ver-
kauf eines Stück Landes an einen Deutschen als eine verräterische, verwerf-
liche und gemeine Handlungsweise brandmarken, gar keine andere Wahl
gelassen ist, als von den Waffen Gebrauch zu machen, die ihr das Gesetz
ausdrücklich gegeben hat. Lassen Sie von diesem Boykott (Lachen bei den P.:,
dann wird auch die Notwendigkeit der Enteignung fortfallen. Wenn die
Ansiedlungskommission in weitgehender Rücksichtnahme sich auf die Ent-
eignung von vier Gütern beschränkt hat, so liegt die Vermutung nahe, das