Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunundzwanzigster Jahrgang. 1913. (54)

Das Dertsihe Reiqh und seine einzelnen Glieder. (Februar 3., 45 
dieser Anlaß absichtlich mißbraucht wird, um die Erregung zu entfachen 
und die im Abflauen begriffene polnische Boykottbewegung von neuem zu 
entflammen. Wegen der Kinematographentheater kann ich mitteilen, 
daß im Reichsamt des Innern ein Gesetzentwurf als Novelle zur Gewerbe- 
ordnung ausgearbeitet ist, wonach diese Theater der Konzessionspflicht unter- 
worfen werden sollen; ebenso ist ein Entwurf ausgearbeitet worden, der 
das Plakatwesen einer strengen Kontrolle unterwirft. Vor längerer Zeit 
ist eine Verfügung ergangen, daß diejenigen Films, die in Berlin die 
Zenjur passiert haben, in der Provinz nicht nochmals der Zensur unter- 
worfen zu werden brauchen. Jedoch ist immerhin die Möglichkeit gegeben, 
sie auch dort der Zensur zu unterwerfen. (Beifall.) 
Abg. Dr. Schepp (Vr.): Die Sozialdemokraten dürfen nicht 
als Bürger zweiter Klasse behandelt werden. Namentlich bei der heutigen 
politischen Lage würde das sehr gefährlich sein. Wir sind bitter angegriffen 
worden wegen unseres Bündnisses mit der Sozialdemokratie. Ich will 
darauf nicht näher eingehen. Gerade das Zentrum und die Konservativen 
konnen in dieser Beziehung sich nur, selbst als Sünder fühlen Abgeordneter 
Strosser sagt, bei den heurigen Landtagswahlen würde die Volkspartei mit 
der Sozialdemokratie zusammengehen. Denn Beweis dafür kann er nicht 
erbringen. Was irgendein Blatt sagt, kann nicht für die ganze Partei 
bindend sein. Aus den Ausführungen des Kollegen Fischbeck geht nicht 
mit einem Worte hervor, daß wir mit der Sozialdemokratie zusammen- 
geben werden. Der Minister hat dem Abgeordneten Wencke vorgeworfen, 
daß die von ihm angeführten Fälle erfunden seien und daß er nur sein 
Agitationsbedürfnis befriedigen wolle. Ich finde diesen Vorwurf unerhört. 
Ich muß dieses Vorgehen des Ministers gegen Herrn Wencke als durchaus 
ungehörig bezeichnen. Man bezeichnet uns manchmal als Revolutionäre. 
Dieser Vorwurf gleitet völlig an uns ab. Wir wären höchstens in der Ge- 
selschaft des Freiherrn vom Stein, Hardenbergs und anderer Reformer. 
Demokratische Grundsätze bei einer monarchischen Regierung, das wäre 
auch unser Ideal. Dazu gehört die Aenderung des preußischen Wahlrechts. 
Gerade der Mittelstand hat unter der öffentlichen Stimmabgabe sehr zu 
leiden. Wir bleiben nach wie vor Gegner der Sozialdemokratie, wenn wir 
auch einmal aus taktischen Gründen mit ihr zusammengehen. Wenn man 
die Sozialdemokratie betämpfen will, muß man die Forderungen des Libe- 
ralismus erfüllen: Besetzung der Aemter nach Verdienst und ein freies 
Wahlrecht. 
Minister des Innern v. Dallwitz: Der Herr Abgeordnete Schepp 
hat an meinen Aueführungen gegen Herrn Wencke eine Kritik geübt, die 
ihm nicht zusteht, und die ich mit aller Entschiedenheit zurückweise. (Leb- 
bafter Widerspruch.) Ich habe gesagt, Herr Wencke hätte die Fälle, über 
die er sprechen wollte, mir rechtzeitig mitteilen sollen, damit ich darauf 
antworten konnte. Da er das nicht tat, konnte ich sagen, daß ihm an einer 
fachlichen Erörterung nichts lag und er nur Agitation gegen die Amtsvor- 
steher treiben wollte. Ich habe nicht gesagt, daß Herr Wencke die Fälle 
eriunden hätte. (Beifall r.) — Ein Schlußantrag wird gegen die Stimmen 
der Konservativen und Freikonservativen abgelehnt. Die Besprechung wird 
iortgesetzt. 
Abg. Dr. Liebknecht Sd.:: Die Wurzeln der Sozialdemo— 
krarie liegen in der ganzen Gesellschaftsordnung begründet, deshalb können 
wir nicht entwurzelt werden, wenn die Gegner auch eine noch so kluge 
Politik treiben würden. Aber unsere Arbeit wird uns ungemein erleichtert 
durch Ihre politische Rückständigkeit. Die Herren von der deutsch konserva. 
tiven Partei sind häufig etwas vorsichtiger und wagen sich nicht so gänz-
	        
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