Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunundzwanzigster Jahrgang. 1913. (54)

Frankreich. (Dezember 27.—30.) 577 
ich pflichtgemäß dies dem Parlament zur Kenntnis bringe, spreche ich die 
Erwartung aus, daß dieser Zustand von kürzester Dauer sein werde.“ 
Die Ankündigung des Kriegsministers geht dahin, daß die Kredite von 
234 Millionen, die für die Zurückhaltung einer Jahresklasse unter den 
Fahnen, und von 72 Millionen, die 1913 für die Beschleunigung der 
Bewaffnung vorgesehen seien, erschöpft wären. Die Regierung habe sich 
entschlossen, das Programm weiter innezuhalten und neue Ausgaben, die 
sich auf 100 Millionen belaufen würden, zu machen. 
2. Dezember. Der Kriegsminister hat auf den Bericht des 
Generalarztes hin beschlossen, die gegenwärtig in mehreren Städten 
Südfrankreichs Dienst tuenden Kreolenkontingente, die sich an das 
Klima nicht gewöhnen können, wieder in die Kolonien zurückzuschicken. 
27. Dezember. (Senat.) Der Gesetzentwurf über die Erhöhung 
der Gehälter der Offiziere und Unteroffiziere wurde einstimmig mit 
293 Stimmen angenommen. v 
Bei der Beratung über die Ergänzungskredite übte Ribot heftige 
Kritik an der finanziellen Lage, von der er sagte, daß sie mit einem 
einzigen Wort als Unordnung zu bezeichnen sei. Ribot verlangte sodann 
von der Regierung, daß sie den Schlendrian der jetzigen Verwaltung hindere, 
die fortfahre, Ausgaben zu machen, ohne dazu autorisiert zu sein. Er 
glaube, daß die Anleihe nicht auf unbestimmte Feit verschoben werden 
könne. Er hoffe, daß kein Zwischenfall in der äußeren Politik eintreten 
werde. Europa sei gewiß friedlich gesinnt. Die gegenwärtige Lage des 
Schatzes dürfe jedoch nicht verlängert werden. Er halte es nicht für möglich, 
schnell eine Steuer auf das Vermögen zu bewilligen, wie in Deutschland, 
wo bereits eine Vermögenssteuer bestehe und wo die Steuerzahler an ein 
streng kontrolliertes Steuererklärungssystem gewöhnt seien. Ribot warf 
Caillaux vor, daß er mehr Parteiführer als Finanzminister sei. Er ver- 
urteilte sodann die heftigen persönlichen Kämpfe. denn über den Parteien 
stehe die Republik Frankreich. Darauf schilderte Finanzminister Caill aux 
die finanzielle Lage und wies nach, daß ein Defizit von 794 Millionen 
bestehe. Das Budget für 1915 würde sich darstellen mit einem Defizit von 
450 Millionen, nicht eingerechnet die Ausgaben für Marokko. Die außer- 
ordentlichen militärischen Ausgaben würden die Voranschläge überschreiten. 
Die Ausgaben zur Verstärkung der Rüstungen, die nach dem ersten Ent- 
wurf auf 420 Millionen berechnet waren, würden auf 920 Millionen steigen. 
Ferner erinnerte der Minister an die noch ausstehenden Ausgaben zur 
Ausführung des Dreijahresgesetzes und für die Marine. Eine Liquidations= 
anleihe sei unvermeidlich. Caillaux erklärte im weiteren Verlauf seiner 
Ausführungen, die Einkommensteuer werde hundert Millionen ergeben; für 
den Rest müsse man die ersten Opfer von den günstig gestellten Klassen 
verlangen. Er erinnere daran, daß man in Deutschland nicht zögere, eine 
schwere Steuer besonders den wohlhabenden Klassen aufzuerlegen. 
29. Dezember. Auf dem Panzerkreuzer „Desaix“ in Saigon 
haben 2418 Mann der Besatzung gegen die Offiziere gemeutert. 
30. Dezember. Nach einer offiziösen Meldung hat sich Griechen- 
land bereit erklärt, den von Bulgarien angerufenen Schiedsspruch 
des Präsidenten Poincaré zur Regelung der strittigen bulgarisch- 
griechischen Grenzfrage anzunehmen. 
Europäischer Geschichtskalender. LIV. 37
	        
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