Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunundzwanzigster Jahrgang. 1913. (54)

580 Italien. (Februar 4.—22.) 
Soliman el Baruni, der zwischen Jefren, Fessata und Nolut an 
der tunesischen Grenze stehe. 
Ferner sei noch der Scheik Senuf unter den Waffen; dieser sei jedoch 
mit Soliman verfeindet, weshalb seine Unterwerfung wahrscheinlich sei. 
4. Februar. (Neapel.) Wegen Erweiterung der kommunalen 
Verzehrungssteuer kommt es bei einem mißglückten Demonstrations- 
streik zu Kämpfen mit der Polizei, wobei 100 Verhaftungen vor- 
genommen wurden. 
12. Februar. (Rom.) Wegen entdeckter Riesenunterschleife beim 
Bau des römischen Justizpalastes werden die Ingenieure Ricciardi 
und Borelli verhaftet. 
22. Februar. (Kammer.) Minister des Außern Marquis di 
San Giuliano über die äußere Politik: 
„Die lange Aufrechterhaltung der provisorischen Formel vom Status- 
quo auf dem Balkan hat heute die Anwendung der definitiven Formel: 
Der Balkan den Balkanvölkern“, ermöglicht. Das ist eine Lösung, welche 
sowohl den Interessen und den liberalen Prinzipien Italiens als auch dem 
allgemeinen Interesse des europäischen Friedens entspricht. Eine solche 
Lösung muß so bald wie möglich realisiert werden; es muß eine endgültige 
Lösung sein, die für viele Jahre den Frieden für die Balkanhalbinsel und 
für Europa sichert. Dieses Ergebnis kann nur erreicht werden, wenn das 
Verhältnis der Territorien auf dem Balkan so weit wie möglich den ethno- 
graphischen und geographischen Bedingungen des Landes und den Wünschen 
und Interessen der Bevölkerung entspricht. In einer Krisis wie der gegen- 
wärtigen, wo so viele entgegengesetzte Interessen im Spiele sind und eine 
so große Menge Zündstoff überall verstreut ist, kann keine große oder kleine 
Macht hoffen noch verlangen, daß alle ihre Interessen und alle ihre Wünsche 
vollständig befriedigt werden, sondern es ist notwendig, daß jede einige 
Opfer bringt und daß die auseinandergehenden Interessen und widerstrei- 
tenden Bestrebungen durch eine Reihe gegenseitiger Zugeständnisse aus- 
geglichen werden. Die Politik Italiens richtet sich nach diesen Grundsätzen. 
Vor dem Ausbruch des italienisch-türkischen Krieges waren noch zwei große 
Probleme für uns offen: das Gleichgewicht in der Adria und das Gleich- 
gewicht im Mittelmeer. Das Gleichgewicht in der Adria ist eine Frage, 
welche dank dem innigen Zusammenarbeiten zwischen Italien und Oester- 
reich-Ungarn, der Mitwirkung Deutschlands und dem hochherzigen und 
friedlichen Geiste und der Gerechtigkeit der anderen Großmächte gelöst 
worden ist. Der Besitz Libvens hat für Italien das Problem des nord- 
afrikanischen Gleichgewichts gelöst, aber sicher nicht unser Interesse an der 
Aufrechterhaltung des allgemeinen Gleichgewichts im Mittelmeer vermindert. 
Oesterreich Ungarn hat die gleichen Interessen wie wir, was die gegenseitige 
Freundschaft der beiden verbündeten Regierungen verstärkt. Wenn durch 
die Macht der Ereignisse gegen unseren Willen und gegen den unserer Ver- 
bündeten und aller Großmächte früher oder später erhebliche territoriale 
Veränderungen im Mittelmeere eintreten sollten, könnte Italien dabei kein 
müßiger Zuschauer bleiben, sondern müßte verlangen, daß seine Stellung 
als Mittelmeergroßmacht von jedermann gebührend berücksichtigt werde. 
Das Mittelmeer ist heute nicht mehr wie im griechisch-römischen Altertum 
das einzige Zentrum der Zivilisation, aber seine Bedeutung für die Welt
	        
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