Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunundzwanzigster Jahrgang. 1913. (54)

584 Ilalien. (September 29.) 
richt, über die Verstaatlichung des Lebensversicherungswesens und das 
politische Wahlgesetz. Das Gesetz über den Volksschulunterricht, das be- 
stimmt ist, die Schande des Analphabetentums auszulöschen, hat die 
jährlichen Kosten des Volksschulunterrichts von 20 auf 58 Millionen er- 
höht. Das nationale Lebensversicherungsinstitut hat in wenigen Monaten 
die Zahl von 22119 Polizen erreicht bei einem Kapital von 172 721801 Lire. 
Außerdem übernahm es 122206 Polizen von 23 früheren Gesellschaften 
über ein Kapital von 796 Millionen. Das ist ein neuer Beweis für das 
Vertrauen, das die staatlichen Einrichtungen einflößen. 
Aber ein Ereignis, das mehr als jede andere Frage die Aufmerk. 
samkeit des Landes in der letzten Zeit in Anspruch genommen hat, war 
die Eroberung von Tripolitanien und der Cyrenaica. 
Die Begeisterung des italienischen Volkes war derart, daß sie an die 
schönsten Tage des nationalen Wiedererwachens erinnerte, Volk und Parla- 
ment begriffen, daß der oberste Zweck der Politik sei, Italien jene Stellung 
zu geben, die ihm unbedingt notwendig ist und ihm im Mittelmeer zu- 
kommt. Die Notwendigkeit der Ausdehnung für unser Land, da unsere 
Bevölkerung auf wunderbare Weise anwächst, ebenso wie die ruhmvollen 
Ueberlieferungen unserer Geschichte machten aus diesem Unternehmen eine 
unumgängliche Notwendigkeit. Wenn man nicht einem jähen Rückgang 
unserer Stellung in der Welt entgegengehen wollte, konnte der Zustand der 
Barbarei nicht lange mehr andauern in einem Lande wie Libyen, das im 
Zentrum des Mittelmeeres liegt, mitten unter Völkern einer vorgeschrittenen 
Zivilisation, und Italien hätte es nicht ertragen, diese Gegend von anderen 
Völkern besetzt zu sehen.“ 
Nach einem Lobe der Aktionen des Heeres und der Marine wird 
in bezug auf die Diplomatie gesagt: „Es genügt, sich daran zu erinnern, 
daß das Unternehmen bei den fremden Regierungen auf keinen Widerstand 
gestoßen ist und daß unverzüglich nach Unterzeichnung des Lausanner Ver- 
trages unsere volle und ganze Souveränität über Tripolitanien und Cy- 
renaica von allen Staaten der Welt anerkannt worden ist.“ 
Es sei nicht richtig, heißt es weiter, daß das libysche Unternehmen 
die Regierung an der Durchführung der öffentlichen Aufgaben und in der 
Verbesserung der öffentlichen Dienste gehindert habe. Im Gegenteil, die 
Ausgaben für öffentliche Arbeiten und für die öffentlichen Dienste seien 
beträchtlich gewachsen, wie dies auch eine Prüfung des Budgets beweise, 
namentlich des Budgets der öffentlichen Arbeiten, des Unterrichts und der 
Post, Telegraphen und Eisenbahnen. „Das Land verfolgt mit großem 
Interesse die Weiterentwicklung des Unternehmens. Keine Partei schlägt 
vor, das Unternehmen aufzugeben, aber es gibt welche, die den Vorschlag 
machen, unsere Besetzung bloß auf die Küsten zu beschränken. Das wäre 
die schlechteste aller Lösungen. Indem man im Innern dieses Riesen- 
gebietes einen vom blindesten Fanatismus geleiteten Widerstand sich organi- 
sieren ließe, hätte man einen dauernden Kriegszustand und die Notwendig- 
keit, sehr große Kräfte an der Küste zu halten, um nicht durch plötzliche 
Angriffe überrascht zu werden. Diese Kräfte müssen aus italienischen 
Truppen gebildet werden, da man ohne eine Besetzung des Innern auch 
nicht die Möglichkeit hätte, eine genügende Anzahl Eingeborenentruppen 
zu schaffen. Wenn Italien diese Bahn einschlüge, müßte es auf jede Ab- 
sicht einer Kolonisierung verzichten. Es würde diesen unglücklichen Völkern 
auch den Zugang zum Meere nehmen, ohne für das Innere des Landes 
ein Werk der Zivilisation zu schaffen. Außerdem würde Italien für etwaige 
Angriffe der Bevölkerung im Innern gegen benachbarte Völker verantwort- 
lich gemacht werden, während es keine Möglichkeit hätte, solche zu ver-
	        
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