46 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Februar 3.)
lich unkritisch heraus in die politische Arena, wie man es von den Herren,
die sich um das Banner des Freiherrn v. Zedlitz geschart haben, gewöhnt
ist. Das Zentrum ist ja im Moment die große Sphinx. Sie möchte Herrn
Bethmann Hollweg los werden, obwohl man von ihm sagen kann, kein
Engel ist so rein oder besser, so schwarz. (Heiterkeit.) Die Haltung des
Zentrums wird eine immer rücksichtslosere. Arbeiten Sie auf die Auf-
lösung des Reichstages hin? Wir haben ja dabei nichts zu verlieren. Bei
einer solchen Politik, wie das Zentrum sie treibt, einer gegen die eigenen
Prinzipien verstoßenden Politik, geht ihm nach und nach der Atem aus.
Die Aufputschung der Ordensfrage soll nur vorbereiten, die Wähler ein-
zufangen. Zwischen der Reichsregierung und der preußischen Regierung
zeigt sich jetzt eine Dissonanz. Im Reichstag machen die Sozialdemokraten
jetzt zwei Siebentel der Mitglieder aus, hier im Abgeordnetenhaus nur ein
Dreiundsiebzigstel. Sie halten das für richtig, aber in Preußen kann auf
die Dauer nicht anders regiert werden als im Reich. An ihren Früchten,
meint der Minister, soll man die Parlamente erkennen, und er lobt die
Leistungen des preußischen Abgeordnetenhauses. Ach, wenn doch dieses Lob
einmal anders woher käme als gerade hier aus dem Abgeordnetenhaus selbst.
Es hat sich herausgestellt, daß das Deutsche Reich und das jetzige junker-
liche Preußen nicht nebeneinander bestehen können. Es heißt nicht mehr
„Preußen und das Reich“, sondern „Preußen oder das Reich“. Wir wollen,
daß das Reich siegt und das Junkerpreußen in Trümmer gehe, damit das
Volk aufatmet. Dazu brauchen wir ein freies Wahlrecht. Wenn Sie Aus-
nahmegesetze fordern, beweisen Sie, daß Sie es selbst für möglich halten.
daß Preußen in absehbarer Zeit von der Herrschaft der ungekrönten Könige
befreit werden wird. Um dies Ziel zu erreichen, dazu werden uns Ihre
Sünden und Ihre Scharfmacherei die allerbesten Werkzeuge sein. Ihre
Drohungen fürchten wir nicht, sondern sehen sie mehr von der ironischen
Seite an. Die Tatsache, daß die Debatten der letzten Tage sich ausschließ-
lich um die Sozialdemokratie gedreht haben, hat deutlich demonstriert, welche
Macht die Sozialdemokratie darstellt.
Die Debatte wird geschlossen. Der Titel Ministergehalt wird be-
willigt. — Persönlich bemerkt Abg. Dr. Schepp (Vp.): Der Minister hat
gesagt, ich hätte Kritik geübt, die mir nicht zusteht. Ich mache den Minister
darauf aufmerksam, daß ich nach der Verfassung wie jeder Abgeordnete das
Recht habe, in diesem Hause Kritik zu üben, wie ich es für notwendig
halte. Daß ich keine unzulässige Form gewählt habe, beweist die Tatsache,
daß der Präsident mich nicht gerügt hat. (Beifall l.)
3. Februar. (Berlin.) Kundgebung des Vorstandes des
Reichsverbandes deutscher Städte über die Heeresverstärkung.
Einstimmig wird beschlossen, dem Reichskanzler zu unterbreiten:
„Der Vorstand des Reichsverbandes deutscher Stadte (Vertretung der Städte
unter 25.0000 Einwohner) blickt mit ernster Besorgnis auf die Stellung, die
das Deutsche Reich in den gegenwärtigen Zeiten der Kriegsgesahr einnimmt.
Der Vorstand hält es für seine Pflicht, seiner Ueberzeugung Ausdruck zu
geben, daß das deutsche Volk sich seiner Vorfahren gerade in dieser er-
innerungsreichen Zeit würdig erweisen wird, um zu versichern, daß auch
die schon schwerbelasteten kleinen und mittleren Slädte selbst große finanzielle
Opfer zu bringen bereit sind, damit unser Vaterland infolge seiner auch
den Gegnern unangreifbar erscheinenden RKriegsbereitschaft sein Schwert
zuugunsten des europäischen Friedens in die Wagschale zu werfen vermag.
Der Vorstand kann die zögernde Haltung der Heeresverwaltung bei der
Einbringung der Heeresvorlage nicht billigen, da die allgemeine Wehrpflicht