Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunundzwanzigster Jahrgang. 1913. (54)

630 Tũrkei. (Januar 25. 30.) 
Regierung wird im übrigen jede Rachepolitik gegenüber den An— 
hängern des bisherigen Regimes vermeiden. 
25. Januar. (Konstantinopel.) Ein Erlaß des Militär- 
kommandanten mildert den Belagerungszustand und hebt das Ver- 
bot des nächtlichen Straßenverkehrs auf. 
30. Januar. Antwortnote an die sechs Großmächte: 
„Der unterzeichnete Minister des Aeußern hat den Inhalt der Kol- 
lektivnote, welche die Botschafter Oesterreich-Ungarns, Englands, Frank- 
reichs, Rußlands, Deutschlands und Italiens am 17. d. M. seinem Amis- 
vorgänger zu übermitteln beliebten, zur Kenntnis genommen. Die otto- 
manische Regierung zögert nicht anzuerkennen, daß der Abschluß des Friedens 
den Wünschen und den Interessen der Allgemeinheit entspricht, und sie gibt 
sich Rechenschaft darüber, daß es geboten sei, dem Kampf so schnell als 
möglich ein Ende zu machen, den sie keineswegs hervorgerufen hat. In 
ihrer Mitteilung haben es die Mächte für nötig erachtet, der Türkei den 
Rat zu erteilen, der Abtretung der Stadt Adrianopel an die Verbündeten 
Balkanstaaten zuzustimmen und für die wichtigsten ägäischen Inseln den 
Mächten die Sorge zu überlassen, deren Schicksal zu bestimmen. Die Kaiser- 
liche Regierung glaubt hervorheben zu sollen, daß sie bereits unzweifelhafte 
Beweise ihrer versöhnlichen Haltung dadurch gegeben hat, daß sie unermeß- 
lichen Opfern zustimmte. Da Adrianopel eine Stadt ist, die vermöge ihres 
besonderen Charakters in untrennbarem Zusammenhang mit dem türkischen 
Reich steht, hat das bloße Gerücht einer Abtretung dieser Stadt im ganzen 
Lande eine derartige Erregung hervorgerufen, daß sie die Demission der 
früheren Regierung herbeigeführt hat. Nichtsdestoweniger ist die Kaiserliche 
Regierung, um den äußersten Beweis ihrer friedfertigen Gesinnung zu geben, 
geneigt, sich dem Wunsch der Mächte hinsichtlich jenes Teils Adrianopels 
zu fügen, der am rechten Ufer der Maritza liegt, während der am linken 
Ufer dieses Flusses gelegene Stadtteil mit seinen Moscheen, Mausoleen und 
anderen religiösen Denkmälern der Türkei verbleibt. Die Eihaltung dieses 
Teils der Stadt unter der direkten autonomen Souveränität ist für die 
Kaiserliche Regierung eine Notwendigkeit, der sie sich nicht entziehen könnte, 
ohne das Land einer Erschütterung auszusetzen, welche die schwersten Kom- 
plikationen mit sich bringen könnte. Was die ägäischen Inseln betrifft, ge- 
stattet sich die Regierung, mitzuteilen, daß, während ein Teil derselben in- 
folge der unmittelbaren Nachbarschaft für die Verteidigung der Hauptstadt 
unerläßlich ist, der Besitz der übrigen einen integrierenden Bestandteil der 
die asiatischen Besitzungen des Kaiserreichs bildenden Inseln nicht minder 
unerläßlich ist für die Sicherheit Kleinasiens. Jede Lösung, die dahin fiele, 
würde die Autorität der Regierung auf diesen Inseln verringern, und das 
Ergebnis haben, sie in ebensoviele Agitationsherde zu spalten, deren Wir- 
kung auf das benachbarte Festland übergreifen würde. Die Folge wäre die 
Schaffung eines Zustandes der Zerrüttung gleich demjenigen in Maze- 
donien, der die Ruhe Europas bedrohen würde. Abgesehen von den be- 
dauerlichen Wirkungen, die eine derartige Lösung auf die öffentliche Mei- 
nung in der Türkei ausüben müßte, würde sie den Ansichten der Groß- 
mächte zuwiderlaufen, denen die dauernde Herbeiführung der Konsolidierung 
und das Gedeihen des Kaiserreiches am Herzen liegt. Infolgedessen konnte 
die Pforte zustimmen, daß die Mächte das Schicksal der von den verbün- 
deten Balkanstaaten besetzten Inseln festzustellen belieben; indem sie den vor- 
stehenden Erwägungen Rechnung und dafür Sorge tragen, daß die Position der 
Dardanellen unberührt bleibt, was die Hohe Pforte als eine im höchsten
	        
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