Lerbien. (Mai 28.) 665
Vertrage hatte Serbien ein Anrecht auf das Küstengebiet am Adriatischen
Meere; infolge Einschreitens der Großmächte opferte es diesen Anspruch
den Interessen seines Bundesgenossen. Es hat somit Anspruch auf einen
Ersatz für diesen Verlust. Die Größe der serbischen Eroberungen in Maze-
donien kann den Verlust an politischer und wirtschaftlicher Unabhängigkeit,
den Serbien im Westen erlitten hat, nicht aufwiegen. Dies ist die wich-
tigste Aenderung gegenüber dem Vertrage, die ganz unvorhergesehen ein-
getreten und deshalb als „höhere Gewalt“ anzusehen und bei der Ver-
teilung der eroberten Gebiete in Betracht gezogen werden muß. Die zweite
wesentliche Aenderung des Vertrages ist durch die Fortsetzung des Krieges
nach dem Waffenstillstand hervorgerufen worden. Der Friede wäre damals
möglich gewesen, wenn Bulgarien nicht Adrianopel und das weiter östlich
gelegene Gebiet für sich gefordert hätte. Obgleich der Hauptzweck des Krieges
damals schon erreicht war, brachte Serbien dem Bundesgenossen vertrags-
mäßig nicht vorgesehene Opfer, damit Bulgarien Adrianopel und Thrazien
erhalte, was durch den Bundesvertrag nicht vorgesehen war. Serbien glaubt
dafür ein Recht auf einen Ersatz erworben zu haben. Die Großmächte
haben Serbien eine durch den Vertrag vorgesehene Eroberung fortgenommen;
sie haben aber Bulgarien eine laut Vertrag nicht beanspruchte Eroberung
zu machen erlaubt. Hierdurch ist das Verhältnis zwischen den Bundes-
genossen verschoben worden und der Bündnisvertrag von Grund aus ge-
ändert. Jetzt ist auch die Zeit gekommen, weitere Abweichungen zu kon-
statieren. Bulgarien war nämlich durch den Bundesvertrag und die
Militärkonvention verpflichtet, 100000 Kombattanten auf den Kriegsschau-
platz am Wardar zu entsenden. Jedoch kurz vor Beginn des Krieges am
23. August und 15. September verlangte Bulgarien, dieser Verpflichtung
enthoben zu werden. Serbien stimmte zu, mußte aber infolgedessen sein
eigenes Heer auf über 400000 Mann erhöhen. Im Verlaufe des Krieges
zeigte sich ferner, daß Bulgarien selbst nach Transferierung seiner Wardar-
armee an die Maritza nicht genügend Kräfte hatte, um die Türkei zu be-
siegen und den Frieden zu erzwingen. Deshalb mußte Bulgarien Hilfe von
Serbien verlangen. Diese von Serbien gewährte Hilfe war aber im Bundes-
vertrage nicht vorgesehen. Von bulgarischer Seite wurde hervorgehoben,
daß die Aenderung der Militärkonvention das Ergebnis einer Uebereinkunft
der beiden Generalstabschefs gewesen sei. Es wird jedermann einleuchten,
daß die Generalstabschefs solche Aenderungen eines Staatsvertrags ohne
Vollmacht nicht durchführen dürfen, sowie, daß Serbien durch das Plus
der von ihm gebrachten Opfer zur Besiegung des gemeinsamen Feindes
das Recht erlangte, bei der Verteilung des eroberten Gebietes berücksichtigt
zu werden. Alle angeführten Gründe veranlassen uns, eine Revision des
Vertrages zu fordern, mit Rücksicht darauf, daß er bereits Aenderungen
erfahren hat, die mit seinem ursprünglichen Wortlaut nicht übereinstimmen.
Die Teilung des eroberten Gebietes kann nicht streng nach ethnographischen
Grundsätzen durchgeführt werden, weil Mazedonien ethnographisch so ge-
mischt ist, daß man auf Grund ethnographischer Scheidung keine lebens-
fähigen Balkanstaaten schaffen könnte. Die Grenze Serbiens in Mazedonien
muß daher so gezogen werden, daß sie unseren wirtschaftlichen und Staats-
interessen entspricht; überdies ist zu bedenken, daß alle diese mazedonischen
Gebiete einst serbisch waren, daß sie von den Türken erobert und jetzt von
den Serben zurückerobert worden sind. Alle diese Momente bestätigen unsere
Auffassung und drängen kategorisch zu der von uns geforderten Revision
unseres Vertrages mit Bulgarien.
28. Mai. Einer Bekanntmachung der Direktion der Staats-
eisenbahnen zufolge wird der gesamte Personen= und Güterverkehr