Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunundzwanzigster Jahrgang. 1913. (54)

672 Serbien. (Oltober 17. 18.) 
gierung die italienische Regierung, die von den herzlichsten Empfindungen 
Serbien gegenüber beseelt sei, vor der Notwendigkeit energischer und offi- 
zieller Schritte bewahren werde, da es klar sei, daß Italien und Oesterreich- 
Ungarn nicht gestatten könnten, daß die Londoner Festsetzungen überschritten 
und die Albanier in unmenschlicher Weise behandelt würden. 
17. Oktober. Österreichische Beschwerde. 
Als Paschitsch jüngst in Wien weilte, gab der erste Sektionschef im 
serbischen auswärtigen Amte, Spalajkowitsch, dem österreichisch-ungarischen 
Geschäftsträger in Belgrad die befriedigende Erklärung ab, daß Serbien 
die Beschlüsse der Londoner Botschafterkonferenz achten und seine Truppen 
nicht auf albanesisches Gebiet entsenden werde; jetzt, nach der Rückkehr des 
serbischen Ministerpräsidenten von Wien, stellt sich Serbien auf den ent- 
gegengesetzten Standpunkt. 
17. Oktober. Eröffnung der Skupschtina. 
Die Thronrede gedenkt der im Kriege gefallenen Helden, der Be- 
freiung unterdrückter Brüder und der Beseitigung der territorialen Schranken 
zwischen Serbien und Montenegro durch die Taten der serbischen Armee, 
der Eröffnung des Zugangs zur Adria und zum Aegäischen Meere und 
der Verdoppelung des Staatsgebietes. Diese Erfolge hätten das Selbst- 
vertrauen des serbischen Volkes gestärkt und ihm einen Ehrenplatz unter 
den Völkern angewiesen. Sie hätten den Beweis geführt, daß Serbien mit 
der Freiheit und der Verfassungsmäßigkeit seiner Entwicklung auf gutem 
Wege gewesen sei. Der Ruhm von Kumanowo, Monastir, Durazzo, Adrianopel 
und der Bregalnitza habe dem serbischen Namen in der Welt Achtung ver- 
schafft. Durch den Frieden zu Bukarest erschienen Serbiens staatliche und 
nationale Interessen gesichert. Aber gerade als Serbien nach Anncxion 
der neuen Gebiete des Friedens zu fruchtbringender kultureller Arbeit am 
meisten bedurft habe, sei es von dem Gebiete des autonomen Albaniens 
aus durch Grenzverletzung und Verwüstung serbischer Orte beunruhigt 
worden. Das neugegründete Albanien verstehe seine Nachbarpflichten nicht. 
Jedoch sei es gelungen, die Angreifer rasch abzuweisen. Der Schluß der 
Thronrede stellt fest, daß die Beziehungen zu den übrigen Staaten un- 
unterbrochen gute und freundschaftliche sind, und drückt die Hoffnung auf 
baldige Erneuerung guter und freundschaftlicher Beziehungen zu der Türkei 
und zu Bulgarien aus. 
18. Oktober. Bedenken des Auswärtigen Amts gegen Öster- 
reichs Drohungen. 
Die drohenden Schritte in Belgrad, denen neue ultimatumartige 
Forderungen folgen sollen, sind ausschließlich von den Dreibundmächten 
vorgenommen worden, die das dreisache Einvernehmen vollkommen außer- 
halb ihres Vorgehens gelassen haben. Serbien hält Paris, London und 
Petersburg über alle Einzelheiten des diplomatischen Spieles genau auf 
dem laufenden und handelt nach den Ratschlägen, die ihm aus diesen drei 
Hauptstädten zugehen. Serbiens Politik ist klar vorgezeichnet. Wenn Oester- 
reich unter Drohungen darauf besteht, daß Serbien auf der Stelle seine 
Truppen aus den Grenzgebieten zurückziehe, die man in Wien als zu 
zu Albanien gehörig bezeichnet, so wird es sich dieser Forderung fügen, 
dann aber alle Mächte des Dreibundes und des dreifachen Einvernehmens 
ersuchen, selbst dafür zu sorgen, daß die Sicherheit Serbiens von albanischen 
Banden nicht bedroht werde, da man ihm nicht gestatte, dies mit seinen 
eigenen Kräften zu tun. An die Stelle der das albanesische Gebiet räu- 
menden serbischen Truppen würden dann Streitkräfte aller sechs Großmächte
	        
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