Aubens: Alsemeines. (September 25.) 753
ohne Rivalität seitens Oesterreichs stützen konnten. So entstand unter
anderem der Zollverein. Für uns ist es Lebensbedingung, in unserm natür-
lichen Rayon, Norddeutschland, frei und unbehindert uns bewegen zu können.
Hannover und Kurhessen dürfen keinem andern als preußischem Einflusse
zugänglich sein. Hiergegen hat sich Ihr gegen uns gerichteter Einfluß immer
mehr in diesen beiden Ländern festgesetzt. Ich habe selbst Platen gesagt,
daß seine Politik unfehlbar zur Folge haben würde, daß beim ersten
Kanonenschuß in Deutschland Hannover sofort durch Preußen okkupiert
werden würde. Daß wir ein gleiches mit Kurhessen tun müßten, versteht
sich von selbst. Ihr dortiger Einfluß würde daher bei kriegerischer Eventua-
lität Ihnen doch nichts nützen, da wir Ihnen immer zuvorkommen könnten.
Als weiterer Beweis, wie sehr Oesterreich überall seinen Einfluß geltend
macht, führe ich Ihnen Dessau und Bernburg an, welche doch für die all-
gemeine deutsche Lage ganz unbedeutend und wirkungslos sind. Wollen
Sie eine der Politik Metternichs einigermaßen entsprechende Richtung ein-
schlagen, so werden Sie uns bereit finden, eine feste Allianz mit Ihnen
abzuschließen. Ich kann wohl sagen, daß ich nur ein Wort habe, und zudem
werden Sie nicht sobald einen preußischen Staatsmann finden, der so ent-
schieden und so unbeirrt durch die öffentliche Meinung reine Kabinetts-
politik zu machen geneigt wäre, weil niemand die öffentliche Meinung so
sehr verachtet wie ich. Der österreichischerseits stets entgegengestellte Ein-
wand, daß in europäischen Krisen Preußen ebensosehr an Oesterreich als
Oesterreich an Preußen angewiesen ist und daß es sich daher um kein
Markten handeln könne, erscheint wohl zur Redaktion einer Depesche ge-
eignet, aber damit gelangt man zu keiner Verständigung. Die Gleichartig-
keit der Situation gebe ich nicht zu. Vor einem Kriege mit Frankreich
fürchten wir uns nicht. Einmal könnten wir uns mit Frankreich so stellen,
daß dasselbe auf jeden Angriff gegen uns verzichten würde. Gewisse Er-
fahrungen mit dem Kabinett der Tuilerien, wobei wir uns allerdings wie
Joseph zu Frau Potiphar benommen haben, würden uns stets die geeig-
neten Mittel an die Hand bieten. Käme es zum Kriege, so würden wir
zum ersten auf unfre eigenen wie auf die gesamten national-deutschen
Kräfte rechnen können, dann würde Preußens (Frankreichs?) Unterwerfung
uns Rußland zuführen, auch England. Wir hätten daher in letzter Analyse
auch ohne österreichische Bundesgenossenschaft gegründete Aussicht auf einen
definitiven Sieg. Nach meiner Anschauung“ — fuhr Bismarck auf die
inneren österreichischen Zustände übergehend fort — „würde eine Politik,
wobei Sie den maßgebenden Einfluß, den Sie in Deutschland einzunehmen
bemüht sind und der erst durch Fürst Felix Schwarzenberg in seiner jetzigen
Gestalt inanguriert worden ist, zum Teil wenigstens an Preußen überließen,
der Konsolidierung Ihrer eignen Interessen am besten entsprechen. Wenn
Sie, anstatt den Schwerpunkt in Deutschland zu suchen, denselben nach
Ungarn übertrügen, so würden Sie den wichtigsten, wesentlichsten Bestand-
teil Ihres Länderkomplexes mit einem Male versöhnen, da es doch den
Anschein hat, daß die ungarischen Länder sich nicht als Appendix regieren
lassen, während Sie keineswegs Gefahr liefen, dadurch die deutschen Pro-
vinzen sich zu entfremden, deren Interessen nach dem Gesamtkörper der
Monarchie gravitieren. Oesterreich würde in dieser Weise ein höchst wert-
voller Alliierter für Preußen werden, und wir würden anderseits Ihre
Vitalinteressen in Italien wie im Orient zu den unfrigen machen und
Ihnen darin unbedingt beistehen. Preußens Stellung in Deutschland ver-
stehe ich folgendermaßen. Parallel mit dem Zollverein müßten auf dem
materiellen Gebiete, wie Eisenbahnen usw., nicht durch den Bund, sondern
durch freie Vereinbarung zwischen Preußen und jedenfalls den norddeutschen
Europäischer Geschichtskalender. LIV. 48