Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunundzwanzigster Jahrgang. 1913. (54)

Übersicht 
über die politische Entwicklung des Jahres 1913. 
Nach den schnellen Siegen der verbündeten vier Königreiche 
Bulgarien, Serbien, Griechenland und Montenegro über die Türkei 
war eine große Veränderung der europäischen Landkarte unver- 
meidlich. Bei ihrer Festsetzung waren aber auch die der Balkan- 
halbinsel benachbarten Staaten Osterreich-Ungarn, Italien, Rumänien 
und Rußland stark in Mitleidenschaft gezogen. Es bestand daher 
die Gefahr, daß bei der Liquidation des Balkankrieges vom Herbste 
1912 auch aus dieser Phase der orientalischen Frage europäische 
Verwicklungen entstehen könnten. Um dem zu begegnen, waren nach 
der Herstellung des Waffenstillstandes vom 4. Dezember 1912 
die Verhandlungen über den Frieden nach London verlegt worden, 
wo die Vertreter der kriegführenden Mächte am 16. Dezember 1912 
zu einer „Friedenskonferenz“ zusammentraten. Zu gleicher Zeit 
vereinigten sich dort die fünf Botschafter von Deutschland, Öster- 
reich-Ungarn, Italien, Frankreich und Rußland mit dem Aus- 
wärtigen Minister Sir Edward Grey zu einer „Botschafterreunion“, 
um durch den Druck des geeinigten Europas das Friedenswerk zu 
überwachen und zu fördern. Da sich bereits gezeigt hatte, daß es 
keine Formel gab, auf die sich die sechs Großmächte Europas zum 
Zweck einer umfassenden gemeinsamen Aktion hätten einigen können, 
so war es von vornherein klar, daß sich bei den Verhandlungen in 
London der seit 1908 hervorgetretene Gegensatz zwischen der öster- 
reichischen und der russischen Balkanpolitik wieder fühlbar machen 
würde, daß Italien seine albanischen Interessen nicht beiseite schieben 
lassen konnte und daß die Beziehungen der nicht direkt interessierten 
Großmächte Deutschland, England und Frankreich zur Türkei bei 
der Festsetzung der Grenzen und bei der Verteilung der türkischen 
Staatsschulden in Betracht gezogen werden mußten. Den Beratungen 
des Arcopags der Botschafter gingen deshalb diplomatische Ver-
	        
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