Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunundzwanzigster Jahrgang. 1913. (54)

Mebersicht über die pvolitische Eutwichlung des Jahres 1913. 765 
Festungen Skutari, Janina und Adrianopel von der Türkei ab- 
getreten werden müßten. Da dieses Ziel nicht zu erreichen war, 
„suspendierte sich“ die Friedenskonferenz am 6. Januar. Die da- 
durch drohend gewordene sofortige Wiederaufnahme der Feindselig- 
keiten involvierte die Gefahr einer weiteren Ausdehnung des Krieges. 
Das zeigte sich an der Verfügung des russischen Kriegsministers, 
wodurch die zu den Probemobilmachungen eingezogenen Reservisten 
noch bis zum April im Dienst gehalten werden sollten und durch 
das Verbot für alle fremden Flieger, die Westgrenze Rußlands 
bis zum 14. Juli 1913 zu überfliegen. Da die militärische Ein- 
wirkung Rußlands auf der Balkanhalbinsel wahrscheinlich einen 
europäischen Kriegsbrand entfacht haben würde, so kamen gleich- 
zeitig auch in der deutschen Presse die ersten Erörterungen über 
die Notwendigkeit der geplanten Heeresverstärkung an die Öffent- 
lichkeit. Aber die Londoner Botschafterreunion erwarb sich das Ver- 
dienst, die drohende Gefahr noch einmal zu beschwichtigen. Am 
10. Januar einigten sich die Mächte, durch einen gemeinsamen Schritt 
in Konstantinopel die Abtretung Adrianopels herbeizuführen, damit 
es den verbündeten Balkanstaaten leichter würde, sich mit dem zu 
verteilenden Landgewinn auch nach Abtretung Albaniens zu be- 
gnügen. Daß mit dieser einseitigen und vom Standpunkte der 
Unparteilichkeit kaum zu begreifenden Einwirkung einem Verlangen 
Rußlands nachgegeben wurde, ist unverkennbar. Die überreichung 
der gemeinsamen Note der sechs Großmächte verzögerte sich aber 
um eine Woche durch die Bemühungen Deutschlands, wenigstens 
die Form der Demarche in Konstantinopel möglichst zu mildern. 
Erst am 17. Januar wurde daher von den Botschaftern der sechs 
Großmächte in Konstantinopel „in dem Wunsche, der Wieder- 
aufnahme der Feindseligkeiten vorzubeugen“, eine gleichlautende Note 
überreicht (S. 627 f.). Verstärkt wurde die Wirkung dieses gemein- 
samen Schrittes durch eine von dem russischen Botschafter v. Giers 
in Konstantinopel wiederholt abgegebene Erklärung, daß Rußland 
im Falle der Wiederaufnahme des Krieges seine Neutralität nicht 
mehr bewahren könne. Diese Drohung wurde allerdings in 
St. Petersburg am 21. Januar desavouiert. Die Hohe Pforte, die sich 
besonders vor feindseligen Unternehmungen Rußlands in Armenien
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.